Zwischen Walchensee und Wallgau
(„Do gäht nix mea, do is jetzt Jagd!“)
Sophia (der Name ist Dichtung, alles andere ist Wahrheit) hatte sich das Seehotel & Gasthaus Einsiedl am Walchensee als Bleibe ausgesucht, um hier am Walchensee und Umgebung herbstliche Stimmungen und Farben – schlicht, Natur pur – zu erleben. Das Seehotel Einsiedl liegt zwar etwas ab vom Schuss, aber es ist eines der wenigen Häuser, die nicht durch die laute Bundesstraße vom See getrennt sind. Die weitere Geschichte sollte obendrein zeigen, dass es gelegentlich besser ist, ab vom Schuss zu sein, als direkt in die Schusslinie zu laufen. Für den guten Ausgang war außerdem entscheidend, dass ein iPhone mit der App Komoot (Details siehe unten, erster Kommentar) brav seinen Dienst als Navi erledigte.
Sportliche Höchstleistungen waren nicht das Ziel – eher Genusswanderungen. Deshalb hatte ich den Altlacher Hochkopf vorgeschlagen – mit drei Optionen:
- Aufstieg von Altlach zum Gipfel und auf demselben Weg zurück
- Aufstieg zum Gipfel, Abstieg nach Wallgau
- Aufstieg bis zur Abzweigung und dann weiter nach Wallgau – ohne Gipfel
Donnerstag 8. Oktober 2015 – die Wolken hingen tief, alle Gipfel wolkenumhüllt. Kein Grund für große Eile. Wir brachen deshalb erst mittags von Einsiedl aus auf. Der Weg nach Altlach war länger als erwartet, aber die Uferstraße bot an diesem nahezu autolosen Herbsttag schon die richtige Einstimmung. Dann rechts ab, dem Wegweiser „Hochkopf“ folgend – vorher schnell noch das Navigerät aktiviert. An der ersten Wegzweigung wählten wir den Wandersteig, nicht die Forststraße. Schnell merkte ich erleichtert, meine Hoffnung, hier noch einen echten Steig vorzufinden, würde in Erfüllung gehen.
Lange folgt der Pfad dem Bach (der Altlach?) mit seinen tiefen Einschnitten und malerischen Wasserfällen, die beredt von dem Dauerregen tags zuvor erzählten. Dass der Steig keinen gepflegten Eindruck macht, tut seinem Charme keinen Abbruch – im Gegenteil. Sorgen bereitet mir nur die Politik, die dahinter erkennbar wird: Gewartet werden nur noch Forstwege, breit wie Autostraßen. Ein Irrweg, der den Wünschen erholungssuchender Feriengäste nicht gerecht wird. Die wollen nicht einfach ihr gewohntes Asphaltstraßen-Labyrinth gegen ein Forststraßen- Labyrinth eintauschen. Sie suchen echte Wandersteige – und finden rund um den Walchensee kaum noch welche.
Unsre gestrige „Isarwanderung“ auf der östlichen Isar-Seite von Krün nach Mittenwald mündete schließlich in einen kilometerlangen Weg unmittelbar neben der Bundesstraße. Würde uns heute eine ähnliche Enttäuschung erspart bleiben?
Der Steig hatte inzwischen doch wieder in einer dieser breiten Fortstraßen geendet, wir mussten allerdings der Abzweigung nach Wallgaau schon ganz nahe sein. Plötzlich Motorengeräusch – ein SUV kam uns entgegen und fuhr an uns vorbei. Wir gingen weiter, der SUV hielt an, ein Mann stieg aus und machte sich mit irgendetwas zu schaffen. Etwa 70 Meter oberhalb holte ich das Navi raus, um nachzusehen, wie weit es denn noch bis zur Abzweigung sein würde. Da rief der Mann von unten:
„Wo woitsn hii? Do gäht nix mea!“
Erst jetzt viel uns auf, dass der Mann ein Absperrband quer über die Straße gespannt hatte. Ich rief zurück:
„Wos hoaßt gäht nix mea?“
„Do gäht nix mea, do is jetzt Jagd!“
„Und wie sollen wir wieder runter kommen?“
„Wo woitsn hii?“
Eigentlich wollten wir zum Gipfel, aber irgendwie müssen wir ja auch wieder runter kommen. Wenn wir nicht in die Schusslinie von Jägern geraten wollten, schied der Rückweg nach Altlach aus. Es blieb nur der Abstieg auf der anderen Seite des Bergkamms, also rief ich:
„Mia woin nach Wallgau“
„Do gibt’s koan Weg nach Woigau“
„Nach meinem Navi gibt’s aber einen!“
Er brummelte noch irgendetwas von geradeaus weitergehen, aber jetzt musste ich mich zuallererst um Sophia kümmern. Ich nahm sie in den Arm und beruhigte sie: „Keine Angst, den Jägern laufen wir nicht vor die Flinte. Wir gehen auf der anderen Seite runter und den Weg nach Wallgau finden wir auch.“
Wie ist so etwas möglich? Ein doch wohl amtlich ermächtigter (?) Mann versperrt ahnungslosen Wanderern den Rückweg. Er sperrt vermutlich ein ganzes Waldgebiet ab, hat aber wenig Ahnung, woher die Wege kommen und wohin sie führen. Warum spricht er uns nicht direkt an, als wir uns begegneten, sondern zieht es vor, über eine größere Distanz zu rufen? Hätte uns das Band ohne die rein zufällige Begegnung mit diesem Menschen abgehalten, daran vorbei zu gehen? Höchstens, wenn da ein Schild gestanden hätte „Achtung, ab hier wird geschossen!“ Was, wenn wir auf dem Rückweg dort erst um 17 Uhr angekommen wären. Für den Abstieg nach Altlach hätte die Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit locker gereicht, nicht aber für den viel weiteren Weg nach Wallgau. Wenn ein Wandergebiet abzusperren ist, muss man doch dafür sorgen, dass niemand hoch läuft, nicht dass niemand mehr runter kommt.
Ich bin sehr gespannt, ob und wie amtliche Stellen, die von mir selbstverständlich in Kenntnis gesetzt werden, diesen unglaublichen Vorgang rechtfertigen. Über den aktuellen Stand der Reaktionen informiere ich unten im zweiten Kommentar.
Nach diesem Schrecken und weil Wolken den Gipfel einhüllten, ließen wir den Hochkopf im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und gingen rechts weiter in Richtung Wallgau. Anfangs war es eine Forststraße alter Art – mit Grün in der Mitte – wesentlich gemütlicher als die neuen, autostraßenähnlichen.
An einer Abzweigung wies das Navi nach rechts. Wir hatten die Forststraße zu verlassen und einem, dem Anschein nach, wenig begangenen, ungepflegten, aufgeweichten Weg zu folgen. Und richtig, da war auch wieder diese Markierung, die uns schon die ganze Zeit begleitet hatte. Ein waagrechtes Aluminium-Schildchen in der Größe eines modernen Smartphones mit drei quadratischen Farbflächen – rot,weiß und rot. Dumm nur, dass dieses Schildchen nicht verriet, wohin der Weg führen würde. Jetzt wurde es immer morastiger mit tiefen Wasserlöchern, teilweise unbegehbar. An einer abschüssigen Passage wandelte sich der Weg in einen Bach. Uns blieb nichts anderes übrig, als im Bachbett weiter zu gehen. Ein wenig verunsichert durch die Aussage dieses Schlaumeiers und den eigentlich unzumutbaren Zustand des Wegs, befragte ich immer wieder das Navi, aber wir waren eindeutig noch auf dem rechten Weg. Auch die Markierung tauchte immer wieder auf. Dann erreichten wir eine Moorwiese mit kaum erkennbaren Pfaden. Vermoderte, glitschige Rundbalken, die über manches Wasserloch gelegt waren, waren eher gefährlich als hilfreich. Allmählich wurde mir klar, was der Schlaumeier mit „koa Weg nach Woigau“ meinte: Es gibt keinen Weg nach Wallgau, der mit einem SUV zu befahren wäre. Damit hatte er tatsächlich recht.
Nach der Moorwiese mit ihrem schwankenden, unsichern Grund und den vielen Wasserlöchern wurde der Weg zunehmend „normaler“. Jetzt ging es auch richtig bergab, wir waren wieder auf den „geliebten“ Forststraßen gelandet. Bald kam ein Wegweiser „Golfplatz“. Die Zivilisation hatte uns wieder eingeholt – wie beruhigend. Eine Bank am Golfplatz lud zum Verweilen ein. Dort die etwas unheimliche Moorwiese, hier die handverlesenen Gräser des Golfplatzes – der Gegensatz konnte nicht größer sein.
Unser Weg führte weiter zur Ortsmitte, zur Bushaltestelle am Rathaus. Großes Begrüßungs-Hallo, als der Bus kam, denn wir – der Busfahrer und ich – kannten uns von vielen gemeinsamen Fahrten auf der Strecke Kochel / Walchensee.
Rückblickend ein schöner, ereignisreicher Tag. Aus Natur pur war Abenteuer pur geworden, nicht ganz freiwillig, aber trotzdem!
Das iPhone als Navigationsgerät
Was im Artikel schlicht „Navi“ genannt wird, war in Wahrheit ein iPhone – und zwar mit der App Komoot.
Komoot ist ein Routenplaner für Fahrrad- und Wandertouren. Ich habe Komoot am PC, am iPhone und am Android Smartphone eingerichtet. Der Funktionsumfang am iPhone und Android ist derselbe. Dass ich im konkreten Fall das iPhone dabei hatte, hatte keinen sachlichen Grund – mit dem Android hätte es genauso funktioniert.
Zur Vorbereitung habe ich als erstes die entsprechende Offline-Karte für die Region heruntergeladen. Offline Karten sind kostenpflichtig. Ist man in mehreren Regionen unterwegs, empfiehlt es sich, das Komplett-Paket zu erwerben und fallweise die benötigte Region zu laden. Die Region Tölzer Alpenvorland ist 666 MB groß. Damit braucht sie mehr Platz als die Straßenkarte von V-Navi für ganz Deutschland. Wanderkarten müssen eben detailreicher sein. Die Genauigkeit der Komoot Karten entspricht etwa der einer Kompass Wanderkarte im Maßstab 1:50000.
Planung und Speicherung der Route
Das geht sowohl an den mobilen Geräten als auch am PC. Hier habe ich den PC vorgezogen, weil es mir am PC leichter fällt, zusätzliche Wegepunkte einzurichten. Ausgangs- und Zielpunkt befanden sich in der Komoot Datenbank, die Route wählt Komoot dann selbst – in der Regel die kürzeste oder gängigste Verbindung. Die vorgeschlagene Route lässt den Gipfel des Hochkopfs links liegen, diese Option wollte ich mir aber offen halten, also habe ich den Gipfel als zusätzlichen Wegepunkt markiert. Jetzt nur noch speichern – fertig. Die Route wird in der Komoot-Wolke gespeichert und steht mir damit auf jedem Gerät zur Verfügung, auf dem mein Komoot Account eingerichtet ist. Wichtig: zum Laden der Route und der Karte muss eine Internetverbindung bestehen, bei der Wanderung selbst nicht!
Mit oder ohne Ansage?
Am Ausgangspunkt öffnet man die geplante Tour und geht auf „Start“. Man kann wählen, ob akustische Anweisungen zu hören sind oder nicht. Ich bevorzuge in der Regel die Stummschaltung. Häufig gehe ich ja zusammen mit andern – lauter Normalsichtigen, die auch Wegweiser erkennen und lesen können. Wozu dann das Navi? Erfahrungsgemäß gibt es im Gelände immer wieder Situationen, bei denen unklar ist, wie es weiter geht. Dann kommt das Navi zum Einsatz, wozu ich mir immer erst eine Lupe an die Kantenfilterbrille hängen muss. Komoot zeigt den aktuellen Kartenausschnitt, die Route ist optisch hervorgehoben, der momentane Standort durch einen roten Kreis markiert. So kann man schnell erkennen, bin ich noch auf dem richtigen Weg, und wie geht es weiter. Bei Altlach/Wallgau kamen wir allerdings an eine Gabelung, die in der Karte nicht eingezeichnet war. Einer der beiden Wege war offensichtlich nur für die Waldbewirtschaftung angelegt. Welcher aber war „unser“ Weg? Wir wählten den linken und kontrollierten nach 30 Metern mit dem Navi. Das Navi zeigte eindeutig, dass wir uns von unserer Route entfernt hatten. Wir hatten den falschen Weg eingeschlagen!
Inzwischen habe ich mich auch mit der Ansage angefreundet. Bevorzugt dann, wenn ich alleine unterwegs bin und mit vielen Abzweigungen zu rechnen ist.
Komoot vermittelt Sicherheit
Die Wanderung Altlach/Wallgau war in vielfacher Hinsicht ungewöhnlich:
• Der Rückweg nach Altlach versperrt
• Die Aussage, es gäbe keinen Weg nach Wallgau
• Auf der gesamten Strecke kein einziger anderer Wanderer
• Der streckenweise total verwahrloste Zustand des Wegs
Da tauchte mehr als einmal die Frage auf: sind wir wirklich noch auf dem richtigen Weg? iPhone und Komoot wussten die Antwort. Das gab uns Sicherheit.
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Keine offiziellen Reaktionen!
Folgende Institutionen hatte ich um eine Stellungnahme gebeten:
• Das Forstamt Wolfratshausen, Zweigstelle Kochel per Brief am 14.10.2015
• Die Tourist Information Kochel a. See per Email am 14.10.2015
• Die Tourist-Information Wallgau per Email am 14.10.2015
Keinerlei Reaktionen! Keine Eingangsbestätigung, kein Zwischenbescheid – nichts!
Weiß die Forstbehörde noch, was sich in ihren Wäldern abspielt? Wahrscheinlich nicht. Deshalb hat sie auch keine Erklärung.
Dass die Touristikbüros nichts zu der Jagdszene sagen würden, hatte ich erwartet. Deshalb hatte ich dort gezielt nach diesen Wegmarkierungen gefragt. Das müsste doch zu deren Metier gehören? Aber auch dazu keine Antwort!
Sind diese Einrichtungen wirklich nur dazu da, Glanzprospekte voller Werbung zu verteilen?
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