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Von Citha bis Vroni

Unterwegs auf sechs Beinen
Renate Gölz erzählt

Seit ca. 35 Jahren haben mich immer meine Hunde begleitet. Ich kann mir ein Leben ohne sie überhaupt nicht mehr vorstellen. Während dieser Zeit, hatte ich einiges mit meinem jeweiligen vierbeinigen Freund erlebt. Wenn ich, bei Gelegenheit, die eine oder andere dieser wahren Geschichten zum Besten gab, hieß es immer wieder: „Schreib das doch einmal auf, so etwas lesen die Leute sicher gern.“ Na, und so befolge ich diesen Rat.

Um die Pointe einige meiner Erlebnisse richtig zu verstehen, muss ich hier hinzufügen, dass bis Ende der 90er Jahre, Führgeschirre noch durch eine Rotkreuz-, statt der seither üblichen Blau-weißen Blindenführhund-Plaketten üblich waren. Noch etwas: viele meiner Hunde sind in Italien zur Schule gegangen. Meine Kommandos sind deshalb oft auf italienisch.

Das war Citha, meine „Erste“, eine Schäferhündin.

Meine Wohnung lag in einer Nebenstraße. Wollte ich mit dem Bus fahren, musste ich nur ca. 200 Meter – bis zur Hauptstraße, und dann diese etwa 100 Meter nach rechts – weiterlaufen, bis zur Haltestelle. Ein paar Mal war es mir passiert, dass der Bus, den ich brauchte, mich überholte, bevor ich die Haltestelle erreichte, und wenn dort niemand wartete, gleich weiterfuhr. Das ärgerte mich, vor allem dann, wenn ich schon in Zeitdruck – oder das Wetter schlecht war. Ich versuchte also, als ich den Bus wieder einmal herankommen hörte, meinen Hund anzuspornen, und sagte:
„Komm, lauf mein Mädchen, den kriegen wir doch!“
Und tatsächlich -, es klappte. Von da an machte ich es immer so. Hörte ich den Bus von hinten kommen, ermunterte ich Citha: „Komm, den kriegen wir noch!“ Und wirklich, der Fahrer wartete jedes Mal. Natürlich bedankte ich mich dann immer höflich bei ihm.

Als ich wieder einmal auf solche Weise meinen Bus erreicht hatte und mich, noch außer Atem, bei dem netten Fahrer bedankte, Entgegnete der: „Na, ich kann doch den braven Hund nicht vergeblich so rennen lassen!“

Auskünfte…

Ein andermal, ich war in die Stadt gefahren, aus dem Bus gestiegen, und blieb stehen, um mir die zuvor erhaltene Wegbeschreibung noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Ich befand mich auf einer komplizierten Kreuzung und kam, da ich nicht sicher war, alles richtig behalten zu haben, zum Schluss, doch lieber noch einen Passanten zu fragen. Also sprach ich, als ich das „klack klack“ von Stöckelschuhen hörte die Person an, die dazu gehören musste:
„Bitte, darf ich Sie einen Augenblick aufhalten? Ich hätte gerne eine Auskunft.“
„Ja, was wollen Sie denn wissen?“
„Können Sie mir sagen, wo hier das Gebäude der Firma Siemens ist?“
„Das ist gleich dort drüben, das gelbe Haus!“
„Diese Beschreibung reicht für mich leider nicht. Ich bin blind, und kann daher mit „dort drüben“ nichts anfangen, da ich nicht sehe was sie mit „dort drüben“ meinen. Und ich kann auch nicht sehen, welches Haus nun gelb ist!“
Die Dame etwas hilflos und daher ärgerlich:
„Ja, wenn Sie blind sind, wieso laufen Sie dann Mutterseelen alleine auf der Straße herum?“ Mir fällt auf die schnelle kein besseres Argument ein, daher gebe ich zurück: „Ich bin doch nicht allein, ich habe ja meinen Blindenhund dabei!“
Die Dame, sehr erleichtert, beugt sich tief zu meinem Hund:
„Weißt Du Hundi, dort rüber musst Du Dein Frauchen führen. Dort hin, wo das gelbe Hausi steht!“

Taxifahrt

Citha hatte die Eigenart, im Taxi aufrecht zwischen meinen Füßen zu sitzen und mal rechts, mal links zum Fenster hinauszuschauen. Tat sich draußen etwas, das ihr Interesse erregte, drückte sie ihre Nase an die Scheibe, um das, was sich dort draußen tat, ganz genau zu betrachten. Dies bemerkte natürlich mancher Fahrer, was oft eine nette Unterhaltung in Gang setzte. Bei einer solchen Fahrt stellte der Chauffeur fest:
„Ihr Hund schaut sich aber sehr aufmerksam um. Der weiß bestimmt ganz genau wo wir sind.“ Mich sticht der Hafer und übermütig antworte ich:
„Ja ja, sie tut das immer. Vor allem aber, achtet sie darauf, Dass die kürzeste Strecke gefahren wird und der genannte Fahrpreis mit der Anzeige auf der Uhr übereinstimmt.“ Verblüfft erwidert er:
„Tatsächlich-? Wie bringt man einem Hund denn so etwas bei?“

Nur Menschen trinken Kaffee?

Während eines Lehrgangs wohnte ich im Haus einer älteren Dame, die ständig Zimmer an Studenten und Lehrgangsteilnehmer vermietete. Sie war auch gern bereit, sich um meinen Hund zu kümmern, während ich mich im Unterricht befand, wo ich Citha nicht mit hinbringen durfte. Eines Abends, beim Abendbrot, sprach mich meine Zimmerwirtin an. Sie klang ein wenig irritiert:
„Sagen Sie mal, trinkt Citha vielleicht Kaffee?“ Sofort stieg in mir ein Verdacht auf. Trotzdem fragte ich verlegen:
„Warum?“
Sie erklärte etwas unsicher:
„Heut Nachmittag hatte ich mir eine Tasse Kaffee auf meinen Wohnzimmertisch gestellt. Ich wollte gerade die Tasse zum Mund heben, da klingelte das Telefon. Na und sie wissen ja, das Ding befindet sich im Hausflur. Ich hing also aus dem Raum und nahm das Gespräch entgegen. Als ich zu meinem Kaffee zurück kam und ihn trinken wollte, stand nur eine leere Tasse auf dem Tisch. Ich glaubte fast, die Tasse selbst geleert zu haben, denn es gab keinen Fleck, ja nicht einmal einen Tropfen auf dem weißen Tischtuch. Aber ich glaube wirklich nicht, getrunken zu haben. Was kann aber passiert sein?“
Ich musste die nette Frau beruhigen und ihr beichten, dass ich sie über Cithas spezielle Vorliebe nicht in Kenntnis gesetzt hatte.
„Mein Mädchen kann einer unbeaufsichtigten Tasse Kaffee nicht widerstehen!“

Heute ist mir ein altes Hundehalsband von Rolf in die Hände gefallen. Dadurch wurden alte Erinnerungen wieder wach. Auch mit ihm habe ich allerhand erlebt. Ein paar der Storys hier zur Kostprobe:

Vorweihnachtliche Überraschung

Im Sommer war Rolf bei mir eingezogen. Als Weihnachten vor der Türe stand, besorgten wir, wie in jedem Jahr unseren Weihnachtsbaum, und fixierten ihn in seinem Ständer. Als wir anschließen dabei waren, uns das Harz von den Händen zu rubbeln, kam Rolf ins Zimmer und schnupperte interessiert an dem neuen Ding, das wir da mitgebracht hatten. Es gefiel ihm, wie es meinem Mann schien. Plötzlich hob Rolf ein Hinterbein und sandte einen Strahl gegen den Stamm. Schnell entfernten wir den Baum aus seiner Reichweite, und beseitigten die Pfütze. Verdrießlich sah uns Rolf dabei zu, und meine bessere Hälfte sagte: „Weißt du wie er jetzt dreinschaut? Es sieht so aus, als wollte er sagen: Endlich kommt ein wirklich praktisches Möbel ins Haus, und was ist? — sie räumen es fort.“

Keine Lust auf Schlappen

Es war einfach, Rolf das Apportieren beizubringen. Er hatte daran so viel Spaß, das er bald gelernt hatte, nicht nur Gegenstände aller Art vom Boden aufzuheben, sondern viele Dinge mit Namen kannte und sie, auf Wunsch, brachte. Eines Morgens verlangte ich:
„Rolf, Schlappen!“ Normaler Weise bekam ich dann meine Hausschuhe. Diesmal brachte er aber seinen Ball. Lachend wehrte ich ab: „Ach Du Blödel, Schlappen, sagte ich doch!“ Darauf hin ließ er den Ball fallen und verzog sich, unter unwilligem Gebrumm, in seinen Korb. Meine Hausschuhe aber musste ich mir diesmal selbst holen.

Das kommt davon

Meinen Hund nahm ich natürlich auch zur Kur nach Bad Kissingen mit. Ein Hund in einem Kurheim? Anfangs waren die anderen Kurgäste etwas irritiert. Ihr Befremden legte sich aber bald, als sie erfuhren, was das für ein Hund war. Viele sprachen mich an und wollten Verschiedenes über ihn wissen. Wie das so funktioniert mit uns beiden, und was er denn alles so kann. Vieles hatten sie ja schon selbst beobachten können. Als ich ihnen dann noch erzählte, dass mir Rolf, zu Boden gefallene Dinge, gleich welcher Art, aufheben und bringen würde, fand sich sofort ein Kurgast, der es unbedingt ausprobieren wollte. Er warf seinen Geldbeutel auf den Boden und harrte gespannt darauf, dass er ihm von Rolf gebracht werde. Auf meine Aufforderung hin, Nahm mein Hund ihn auf und brachte ihn – wie der verdutzte Eigentümer feststellen musste – natürlich mir.

Dann war da Ike:

begleitete mich, wie gewohnt, zur Arbeit. Wir benutzten, wie immer, die S-Bahn. Bei der nächsten Station musste ich aussteigen, darum sagte ich:
„Komm Ike, zur Tür!“ Gehorsam setzte er sich in die Gewünschte Richtung in Bewegung, drehte dann aber kurz nach links ab, in ein Abteil. Ich nahm an, er wolle mit jemanden flirten und korrigierte: „Nein Ike, aussteigen!“ Er gehorchte sofort und strebte der Waggontüre zu. Da hörte ich eine verblüffte und leicht ärgerliche Frauenstimme hinter mir:
„Meine Brotzeit! Er hat meine Brotzeit mitgenommen!“
Ich fasste meinem Hund ans Maul -, tatsächlich, er hatte das vermisste Päckchen. Natürlich nahm ich es ihm ab, und gab es der Eigentümerin zurück, obwohl er bemüht war, es zu behalten. Dabei zog ich mir den Protest einiger Mitreisender zu. Sie meinten:
„Die Frau kann sich ja auch ein neues Frühstück besorgen, der Hund hat mit dem Päckchen im Maul, so stolz ausgesehen. Als er es hergeben hat müssen, hat er enttäuscht gewirkt!“

Auch das war Ike:

Wir waren unterwegs. Das Wetter ließ zu wünschen übrig -, es regnete seit zwei Tagen. Auf einem Breiten Fußweg, auf dem sich auch Radfahrer tummelten, verlangte ich von meinem Hund:
„Links-Rand!“ Schon nach kurzer Zeit tendierte er dazu, immer weiter nach rechts zu driften. Ich dachte meinen Freund zu kennen und nahm an, er wollte mich davon überzeugen, den verlockenden Park nebenan aufzusuchen. Wiederholt forderte ich ihn auf:
„Links Rand!“ Mit mäßigem Erfolg. Schließlich wurde ich ungeduldig und schimpfte:
„Herrschaftszeiten noch mal, willst du Lausbub endlich gehorchen?“
Nun folgte Ike meiner Aufforderung, wurde dabei aber immer langsamer, und „platsch platsch“, stand ich in einer riesigen, fast Knöchel tiefen Pfütze. Jetzt drehte er sich nach mir um und schubste mich mit der Schnauze, als wollte er fragen:
„ist es das, was Du wolltest?“ Anschließend führte er mich demonstrativ aus der Pfütze und um diese herum.

Seit ein paar Jahren begleitet mich Winnie!

Winnie ist, wie mir von den meisten Leuten versichert wird, ein ganz besonders charmantes, alle Herzen gewinnendes, Labrador-Mädchen, das es gelegentlich „faustdick“ hinter den Ohren hat. Daher möchte ich auch über sie erzählen.

Winnie ist sehr selbständig und schätzt es deshalb, wenn sie eigene Entscheidungen treffen darf. Ist ein Ziel auf mehreren Wegen zu erreichen, versucht sie gerne, mir jedes Mal eine andere Route anzubieten. Auch ob der Weg zu Fuß oder mit einem Verkehrsmittel zurückzulegen ist, würde sie ganz gerne bestimmen. Normalerweise behalte ich mir ja schon die Entscheidung dieser Frage vor, nur manchmal, … aber urteilt selbst:

Und so sieht das manchmal aus…

Wir, meine Winnie und ich, haben die Erdoberfläche am Marienplatz verlassen und kommen ins Sperrengeschoss. Dort möchte ich zur Treppe weiter nach unten, um zur S-Bahn zu kommen. Also teile ich meinem Hund diesen Wunsch mit:
„Zur Treppe!“. Eifrig tippelt meine Freundin los und bleibt, wie ich schnell feststelle, vor einer Lifttüre stehen. Na gut, denke ich, warum nicht? Da ertaste ich eine Plastiktafel, die an einer Querstange vor der Lifttüre hängt, also Gesperrt. „Tut mir leid“, versuche ich meiner vierbeinigen Begleiterin zu erklären: „Wir haben Pech, Es wird Dir nichts anderes übrig bleiben, als doch die Treppe zu nehmen!“ Schon denke ich, sie hat mich verstanden, denn sie trippelt wieder eifrig los. Aber bald stelle ich fest, der Treppenabgang muss schon hinter uns liegen. Gleich danach noch eine Linkswendung und … wir stehen wieder vor einer Lifttüre, und vor dieser hängt keine Tafel.

Winnie das Schlitzohr

Eines Nachts, es sind schon eher früh als spät, steigen wir aus der U-Bahn. In der Hoffnung, den letzten Bus noch zu kriegen, eilen wir die Treppen hoch. Aber natürlich – ich hätte es mir denken können – der Bus ist schon weg. Also mache ich Winnie klar: „wir müssen zu Fuß Heim!“
Um den Heimweg kümmere ich mich natürlich nicht, den kennt Freundin Hund genau. Schließlich ist sie ihn schon oft genug gegangen und behält Wege fast immer schon nach dem ersten Mal. Wir unterqueren also die Straße und ich hänge, mich auf Winnie verlassend, meinen eigenen Gedanken nach.

Plötzlich ist mir die Umgebung fremd. Autos fahren, wo keine fahren sollten – und überhaupt… Es hört sich nicht nach meinem Heimweg an. Wiederholt, allmählich ärgerlich werdend, verlange ich „Heim!“ Jetzt nur noch ein Bett. Ein Königreich für ein Bett, denke ich… vergeblich… Fast am Ende meiner Geduld angelangt, kann ich mich wieder orientieren. Links von mir ein Bushäuschen, vor dem bleibt Winnie stehen. Sie hatte bloß keine Lust, zu Fuß Heim zu laufen.

Ja – und dann sind da noch die Begegnungen mit den Kindern die, wie könnte es anders sein, zu den lustigsten und daher Erzählenswertesten gehören. Aus diesem Grund – und weil, na ja… Urteilt selbst!

Bus:

Ein Knirps, ich schätze ihn so auf ca. 5 oder 6 Jahre, tippt mich auf den Unterarm:
„Hallo du, warum hat dein Hund ein rotes Kreuz auf dem Rücken, ist er ein Nothund?“
Bereitwillig erkläre ich:
„Nein, das ist kein Nothund, sondern ein Blindenführhund. Ich kann nicht sehen, darum brauche ich ihn. Er führt mich und gibt acht, damit ich mich nirgends stoße oder stolpere!“ Kurze Pause, dann der Kleine:
„Dann ist er aber doch ein Nothund!“

In der U-Bahn:

Der Wagen ist fast leer. Bei der nächsten Station steigt eine Mama mit ihrem ziemlich lebhaften Kind ein. Eine Weile bemüht sie sich redlich, das Quirlige Persönchen dazu zu bringen, artig neben ihr auf der Bank Platz zu nehmen, vergeblich. Das Quecksilber saust den Gang vor und zurück und es sieht nicht so aus, als wolle es seiner Mama die Freude machen und sich setzen. Da kommt der Frau die zündende Idee und sie sagt:
„Schau einmal, wie brav der Hund da unter der Bank liegt!“ Ihr Sprössling, wie aus der Pistole geschossen:
„Soll ich mich auch unter die Bank legen?“

Wieder im Bus:

Wir, Winnie und ich, stehen an der Bustüre, bei der nächsten Station möchten wir aussteigen. Da höre ich die Mama, sie saß zuvor hinter mir und plauderte mit ihrem kleinen schon eine weile:
„Schau, ist der Hund nicht lieb?“
„Ja schon, aber der hat da was am Rücken dran!“
Mama, eifrig erklärungsbereit, will es anscheinend spannend machen:
„Ja ja, das ist auch ein ganz besonderer Hund!“
„Mhm – ja, er hat sich als Krankenwagen verkleidet!“

Glöckchen für Winnie

Nachdem Winnie auch das Letzte Ihrer Glöckchen verloren hat, suchen wir schon seit zwei Wochen einen Laden, in dem wir neue – bekommen können. Ich kann nun einmal nicht darauf verzichten. Und mache mich am Anfang der nächsten Woche wieder auf die Suche danach.

In der Leopoldstraße ist ein Laden, in dem ich auch schon einmal fündig geworden war, also nichts wie hin! Und richtig, zwei Stränge der Glöckchen in der passenden Größe sind noch da. Natürlich nehme ich beide.
Guter Dinge laufen wir weiter in Richtung Innenstadt. Mein Magen beginnt mir einen Vortrag über Raumleere zu halten, ich befrage meine Uhr und stelle fest, dass mir bis zu meinem Arzttermin noch reichlich Zeit für einen Imbiss bleibt.
„Winnie, Café!“ Das ist meinem Hund längst ein Begriff geworden. In der Regel steuert sie dann ein uns schon bekanntes Lokal an, manchmal findet sie aber auch ein für uns neues. Diesmal denke ich an ein ganz bestimmtes Café, in dem wir schon öfter waren. Aber nein, sie biegt in einen Durchgang ein, und wir landen in einem Innenhof. Aha, wieder einmal ein neues Lokal, denke ich und folge meinem Hund willig, zumal mir Kaffeeduft entgegen strömt. Sie führt mich durch eine offene Tür in einen ebenerdig gelegenen Raum und bleibt unschlüssig stehen. Nanu, denke ich, sie muss sich wohl geirrt haben, das hier macht mir nicht den Eindruck eines Cafés.

Schon will ich meinen Hund zum umkehren auffordern, da spricht mich ein junger Mann an: „Suchen sie etwas?“ Verlegen antworte ich: „Na ja, ich sagte meinem Hund, er solle mich zu einem Café bringen, und er hat mich einfach hierher geführt. Wahrscheinlich folgte er dem Kaffeeduft. Verzeihung, Ich wollte gerade umkehren.“
Der junge Mann beginnt herzlich zu lachen und zwei Andere stimmen ein.
„Bitte bleiben Sie auf eine Tasse Kaffee. Dies hier ist zwar kein „Café“. Wir sind gerade mit Umziehen beschäftigt und wollten Pause machen. Nehmen Sie Platz, damit Ihr Hund nicht enttäuscht ist. Denn irgendwie hatte er doch Recht, und das sollte honoriert werden.“ Sein Kumpel fügte noch hinzu:
„Finde ich klasse, ein Hund der ein Kaffee findet. Wie macht man das? Ich hätte gerne einen, der Bier findet.“

Auch das ist Winnie!

„Einen Arzt wechselt man nur im Notfall!“ Dieses Prinzip gilt natürlich auch für den Tierarzt. Also besuchen wir den, mit dem ich, bzw. meine Hunde, schon gute Erfahrungen hatten, auch wenn er umständlich zu erreichen ist. Bus, S-Bahn und eine halbe Stunde Fußweg. Endlich am Ziel sind wir beide groggy, haben wir doch schon einen anstrengenden Vormittag hinter uns. Daher beschließe ich, nach der Busverbindung zu fragen, die mir den weiten Weg zur S-Bahn erspart und wende mich an die freundlichen Sprechstundenhilfen, die sich hier auskennen. Bereitwillig wird mir der Weg beschrieben aber, welcher Blinde hat die Erfahrung noch nicht gemacht? Wenn Sehende einen Weg beschreiben, muss dieser für einen Blinden nicht unbedingt auch nachvollziehbar sein. Wenn es heißt:
„Die Bus-Haltestelle ist gleich vor der Praxis!“, dann spielen 50 oder 100 Meter links oder rechts daneben für Sehende keine große Rolle. Für uns hingegen …
Glücklicher Weise sucht Winnie auf Verlangen, so vorhanden, auch in fremder Umgebung Haltestellen. Sie enttäuscht mich auch diesmal nicht. Etwa 80 Meter weiter Rechts ist die Haltestelle und auch der Bus lässt nicht lange auf sich warten. Schon nach zwei Stationen haben wir unsere Haltestelle erreicht und, weil wir noch nie hier waren, bitte ich den Fahrer um Auskunft:
„Wo finde ich den S-Bahnhof?“ Wie üblich kommt die für mich so aufschlussreiche Antwort: „Gleich da hinten!“ Dann höre ich, wie sich die Bus-Türe schließt… Da stehe ich nun und… Wie das so ist, kein Mensch in erreichbarer Nähe, den ich ansprechen kann. Also machen wir uns auf den Weg nach „da hinten“, wo immer das auch sein mag.
Wie soll ich Winnie erklären, was ich von ihr will? – Ich versuche es mit dem Verlangen nach einer Haltestelle und setze, nachdem sie mir mehrere Bushaltestellen gezeigt hat, auf gut Glück die Erläuterung hinzu, „nach Hause“ (Casa).
Eigentlich erwarte ich nun lange Umwege. Meine Freundin trippelt los und scheint keineswegs unsicher zu sein. Das muss aber noch nicht heißen, dass sie verstanden hat, denke ich bei mir. Was bleibt mir anderes übrig, ich tappe verunsichert hinter ihr her. Es geht eine kurze Strecke die Straße entlang, dann macht der Weg einen Bogen und plötzlich vollführt mein Hund eine Linkswendung und wir landen in einer Unterführung, vor einer Treppe, die nach oben führt.
Immer noch kein Passant in der Nähe, bei dem ich mich erkundigen kann. Irgend etwas muss ich tun und so folge ich Winnie nach oben. Dort angekommen, ist meine Überraschung perfekt… Denn, ich stelle fest, dass ich mich tatsächlich auf dem S-Bahnsteig befinde.

Ja, manchmal Verreisen wir auch

Tagung in Bonn: So früh angesetzt, dass ich mit dem ersten Zug nicht einmal einigermaßen pünktlich da sein kann. Also nehme ich den Nachtzug. Das mit dem Liegewagen klappt, und ich komme um 5:55 Uhr an. Gleich nach dem Aussteigen suchen wir nach einem Plätzchen, auf dem sich Winnie versäubern kann.
Jetzt aber meldet sich mein Magen und gaukelt mir ein Frühstück vor. Wir sind hier fremd, trotzdem probiere ich es:
„Cafè!“ Winnie weiß was ich von ihr will und setzt sich in Bewegung. Nach kurzem stehen wir vors dem Bahnhofsgebäude und dort vor einer Türe. Ich drücke auf die Klinke. Kein Glück. Die Türe lässt sich nicht öffnen. Vielleicht hat Winnie sich geirrt oder mich nicht richtig verstanden. Im nächsten Augenblick ein Geräusch von drinnen, ein Schlüssel knirscht im Schloss und die Türe geht auf. Aus dem inneren strömt mir Kaffeeduft entgegen und eine freundliche Stimme begrüßt mich:
„Guten Morgen, wir öffnen gerade!“
Es hat also wieder funktioniert. In einem fremden Ort als Blinder auf Anhieb das gewünschte Lokal gefunden.

Wasser ist ihr bevorzugtes Element

Winnie ist die geborene Segelpartnerin. Zwei Wochen Segelfreizeit bei der Schiffergilde in Bregenz sind genau das Richtige für sie. Ausgestattet mit Segelmützchen und Hundeschwimmweste (letzteres ist Pflicht auf jedem Boot) treffen wir in Bregenz ein. Mit ihrem Charme erobert sie wie immer, alle Sympathien. Schnell begreift sie, dass wir jetzt hier wohnen, wer zu uns gehört und na klar, wo es Essen gibt.
Schon am zweiten Tag findet sie den Bootshafen, die „Kiste“ in der die Schwimmwesten für Zweibeiner aufbewahrt sind und bringt mich zielsicher, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu irren, zum Kutter. Sie findet ihn problemlos unter den tausenden Booten, die im Hafen liegen, führt mich perfekt über den Anlegesteg, vorbei an den anderen Booten, deren Bug manchmal über die Hälfte des Stegs hereinragen. Dann bleibt sie stehen, gibt mir einen Stups mit der Schnauze: „Pass auf, Hindernis!“ Nachdem ich mich darum herumgetastet habe, führt sie weiter.
Niemand muss sich um sie kümmern. Selbstsicher sucht sie sich einen Platz. Nachdem wir Fahrt aufgenommen haben, steht sie auf den Hinterbeinen, die Vorderpfoten auf den Bootsrand gestützt und schaut unter ihrer Schirmmütze übers Wasser, während ihre Ohren im Wind flattern. Eines aber kann sie nicht begreifen. Wenn wir weit draußen ins Wasser springen und Schwimmen, muss sie auf dem Kutter bleiben. Denn niemand traut sich zu, das Pelzpaket anschließend über die Strickleiter wieder an Bord zu hieven.

Am Abend aber, nach beendetem Tagesprogramm, gehen wir beide an die Slippanlagen, wo die kleinen Laser Jollen liegen. Dann schwimmen wir gemeinsam hinaus. Niemand stört uns, wird von uns gestört. Winnie ist eine brillante Schwimmerin. Lautlos, wie ein Otter gleitet sie durchs Wasser. Ich kann mich mühelos an ihr orientieren, ganz nahe neben ihr schwimmen, ihr auch immer wieder mal die Hand auf den Rücken legen und mich so vergewissern, dass wir noch beisammen sind. Wenn ich finde, dass es Zeit zur Umkehr ist, reicht ein kurzer Hinweis:
„ Ritor, Fuori Westiti!“ Sie kehrt um, steuert das Ufer an, genau dort, wo wir es zuvor verlassen haben, und bringt mich zu unseren Sachen. Ohne sie wäre der Segelurlaub nur halb so toll.

Fischteiche

Kur in Prien. Winnie ist natürlich mit von der Partie. Anwendungen, Therapien, Vorträge. Langweiliges Zeug, mag sie denken. Sie genießt die Ausflüge in der terminfreien Zeit. Gemeinsame Wanderungen mit anderen Kurgästen um den See herum. Dazwischen legt Winnie ein kurzes Bad ein. Ein Ausflug zu einem Restaurant im nächsten Ort. Auf dem Rückweg über Weiden, vorbei an Gehöften und auch an einem Fischrestaurant, mit eigenem Fischteich. Plötzlich rauscht das Wasser auf. Die ganze Gruppe schreit auf, bricht in Gelächter aus. Winnie war kopfüber in den Teich gesprungen und am gegenüberliegenden Ufer, mit einem Fisch im Fang, wieder aufgetaucht. Sie macht sich gleich über ihre Beute her, lässt nicht davon ab, bevor sie diese nicht samt Haut und Gräten, Kopf und Schwanz verputzt hat. Sich das Mäulchen leckend kommt sie Freude strahlend zurück. Wir haben Glück, bleiben unentdeckt. Ich hätte dem Fisch ja gern bezahlt. Aber auf das Theater, das die Eigner sicher veranstaltet hätten, hab ich gern verzichtet.

Wenn sich Winnie was vornimmt…

Wir sind bei Christa zu besuch. Christa ist spastisch gelähmt und sitzt deshalb im Rollstuhl. Sie lebt in einer ebenerdigen, direkt an ihr Elternhaus angebauten, rollstuhlgerechten Wohnung, mit eigenem Eingang. Von ihrem Wohnzimmer aus hat sie auch, durch eine Terrassentür, direkten Zugang zum, auf der Rückseite gelegenen Garten. Nachdem wir uns begrüßen, erklärt sie mir: „Heute kann Winnie nicht in den Garten. Meine Eltern haben den Gartenteich neu bepflanzt und Deine Wasserratte wird vermutlich gleich rein wollen und das werden die noch nicht eingewurzelten Pflanzen kaum überstehen. Deshalb werden wir die Terrassentüre einfach nicht aufmachen.“ Mir ist das recht. Da es ja keinen anderen Zugang zum Gartenteich gibt, kann ich meinen Hund problemlos von der Leine lassen und wir können uns trotzdem entspannt unterhalten, dachte ich… Plötzlich ist Winnie verschwunden. Ich rufe, pfeife, Christa sucht in allen Räumen und dann auch vor dem Haus. Winnie ist einfach weg. Christa ruft nach ihren Eltern, die den Hund aber auch nicht gesehen haben.
Genau so plötzlich, wie Winnie verschwunden ist, erscheint sie wieder. Sie steht vergnügt mit dem Hinterteil wippend, triefend, mit Wasserpflanzen behangen, mit Schlammstiefelchen an den Füßen, in der offenen Haustüre, durch die man in die Wohnung von Christas Eltern kommt.
Die Frage, wie sie trotz unserer Vorsichtsmaßnahmen, in den Gartenteich hinterm Haus kommen konnte, beantwortete die Spur, die sie hinterlassen hatte. Sie war durch die offene Haustür -, die Treppe hoch, durch das Wohnzimmer der Besitzer, über den Balkon – und dort die Treppe nach unten gelaufen, hatte ihr Bad im Gartenteich genommen, und war auf dem gleichen Weg wieder zu uns zurückgekommen und das, ohne jemals vorher in diesem Haus gewesen zu sein. Und ich finde kein Mauseloch, in dem ich verschwinden könnte …

Eigentlich muss ich mich nicht so sehr darüber wundern. Winnie ist es gewöhnt, auch Um- und Auswege aus schwierigsten Situationen zu finden, Sie ist in ihrem Job, der manchmal einige Cleverness erfordert, wirklich gut. Warum soll sie ihre Fähigkeiten nicht auch für ihre eigenen Interessen nutzen?

Freilauf

Wenn mein Hund Freizeit hat, braucht er natürlich kein Führgeschirr.
Das ist für uns Blindenführhundehalter so selbstverständlich, daß wir uns
darüber keine Gedanken machen. Dass es Leute geben könnte, die das
irritiert, musste ich erst lernen.

Wir beide im Park, Winnie (natürlich ohne Führgeschirr) im Freilauf. Und ich bekomme Gelegenheit ein Gespräch zweier ebenfalls anwesender Damen Zu verfolgen:
Dame 1: „Da schau, ein Blindenhund!“
Dame 2: „Wo?“
Dame 1: „Na dort Drüben, der kleine Weiße!“
Dame 2: „Das ist doch kein Blindenhund!“
Dame 1: „Doch, schau nur, er hat am Halsband den Anhänger mit dem Roten Kreuz, wie ihn die Blindenhunde alle haben!“
Dame 2: „Trotzdem ist es kein Blindenhund. Ich kenne mich damit aus. Alle Blindenhunde haben einen Henkel!“

U-Bahnfahrt am Morgen

Nach dem Einsteigen, zeigt mir mein Hund einen Sitzplatz und verschwindet darunter, während ich darauf Platz nehme. Kurze Zeit danach erhebt sich die Person neben mir und verlässt das Abteil. Ein Herr, der mir gegenüber sitzt, brummt unfreundlich: „Jetzt ist die hübsche junge Dame weggegangen. Wegen Ihnen!“ Ich fühle mich nicht angesprochen. Warum auch? Das scheint den Herrn zu ärgern. Er schimpft weiter: „Wegen Ihnen und dem Hund da!“ Jetzt weiß ich zwar, dass er mich meint, reagiere aber noch immer nicht. Also stupst er mich am Knie. Das geht mir dann doch zu weit und ich reagiere: „Dies hier ist ein öffentlicher Raum, in dem niemand besondere Ansprüche hat. Wenn der Dame meine Nase nicht gefällt oder sie keine Hunde mag und deswegen weggeht, kann ich es nicht ändern.“ Eine Frauenstimme aus dem Abteil hinter mir meldet sich laut genug, damit es jeder im Umkreis hört: „Ich habe mich nicht Ihretwegen“ (dabei tippt sie mich auf die Schulter) und auch nicht wegen dem Hund weggesetzt, sondern wegen dem Kerl, der mich schon die ganze Zeit so blöd angestarrt hat.“

Im Einkaufszentrum

Das Einkaufszentrum in der nähen meiner Wohnung, erspart mir so manche Stadtfahrt. Auch diesmal kann ich das Geburtstagsgeschenk für den kleinen Patrick von nebenan, gleich dort besorgen. Es ist später Nachmittag und im „PEP“ herrscht Hochbetrieb. Der Spielwarenladen liegt am hinteren Ende, sodass ich, an vielen Läden vorbei, zwischen den Menschentrauben hindurch muss, um dorthin zu kommen. Naturgemäß dauert es etwas, bis ich an der Reihe bin, und so füllen sich die Passagen mit immer mehr Kunden. Wie immer, lotst mich Winnie geschickt durch die Menge, wofür sie natürlich ausgiebig gelobt wird. Auf dem Rückweg nach draußen, findet sie so nebenbei irgendetwas Köstliches auf dem Fußboden, dass sie unmöglich liegen lassen kann. Mein Protest ist zwecklos. Bevor ich es verhindern kann, hat sie es auch schon eingesaugt. Durch das Gedränge der vielen Kunden, die mich mal da hin und dorthin schieben, verliere ich die Orientierung komplett, und muss mich nun total auf meinen Hund verlassen. Erst als wir zum vierten mal an der nach Geräuchertem und Gebratenem duftenden Metzgerei vorbeikommen, wird mir klar, dass mein kleines Schlitzohr, gar nicht daran denkt, meinem Verlangen, nach Draußen und nach Hause zu gehen, folge zu leisten. Sie dreht, meine Orientierungslosigkeit nutzend, eine Runde nach der anderen. Vermutlich in der Hoffnung, vielleicht noch etwas Fressbares zu finden. Endlich kann ich aber doch das Geräusch der Rolltreppen erlauschen, gerade als Winnie schwungvoll den Bogen zur nächsten Runde einschlagen will. „Nein, Fuori“, sage ich. Sch… mag meine kleine Hexe gedacht haben. Von ihr aus hätte es vermutlich noch eine Weile so weitergehen können, vielleicht bis zum Ladenschluss.

Schnee, Schnee und nochmals Schnee

Sonntag mittags. Bin verabredet zum Kaffeeklatsch mit Freunden. Beim morgendlichen Gassigang hat es schon zu schneien begonnen, und seither noch nicht aufgehört. Im Gegenteil, das Schneetreiben ist immer heftiger geworden. Trotzdem möchte ich das Treffen nicht absagen. Also los, raus aus dem Haus. Sofort stehe ich im Schnee, der mir bis zur halben Wade reicht. Soll ich doch lieber umkehren? Nein; die Bushaltestelle ist nicht weit, drei Minuten von hier. Wir starten, aber meine Orientierung lässt mich im Stich. Schneetreiben und Tiefschnee, da streikt sogar meine Mobilität.
„Winnie, Station!“ Eigentlich sollte sie dort hinfinden. Sie hat schon ganz andere viel schwierigere Aufgaben gelöst. Der Wind weht den Schnee vor uns her, es entstehen Haufen und Wälle. Winnie bleibt stehen, ich nehme meinen Stock raus und taste herum. Wir stehen vor einem Knietiefen Schneewall. Hier geht es nicht weiter. Es war noch kein Räumfahrzeug unterwegs. Der Weg zur gewünschten Bushaltestelle ist vorerst wohl unpassierbar. Seufzend sage ich: „Casa!“ Winnie dreht um und stapft brav los. Wir stapfen und stapfen. Eigentlich sollten wir schon längst daheim sein. Aber nach Hause findet sie doch immer und der Weg dorthin kann noch nicht zugeschneit sein. Merkwürdig, denke ich, und will gerade mein Verlangen wiederholen, da setzt das Geläut der nahen Pfarrkirche ein, und jetzt weiß ich auch wieder wo ich bin. Wir sind auf dem Weg zum Pfanzeltplatz. Wir kommen gut voran, denn dorthin ist der Weg schon geräumt, und dort befindet sich die nächste Bushaltestelle.

Winnies Wege

Es steht wieder ein Besuch im Kosmetikstudio in meinem, Terminkalender. Es liegt mitten in der Innenstadt, nahe einer U-Bahnstation. Aber auf diesem Platz ist es sehr laut und für mich schwierig, mich zu orientieren. Auf dem Weg dorthin muss ich stark befahrene Straßen überqueren, und es gibt dort keine blindengerechte Ampel. Zweimal hat mir ein Freund den Weg gezeigt, und zweimal haben Winnie und ich es schon alleine geschafft. Jedes Mal war ich sehr unsicher dabei, und – froh, wenn ich den Rückweg hinter mir -, und die Treppe zur U-Bahn wieder erreicht hatte. Wir kommen auf den Platz, Winnie gibt mir zu verstehen: „Ich weiß schon, wohin Du willst!“. Das macht sie, indem sie sich so groß wie nur möglich macht, und energisch nach vorne geht. Dann weiß ich, sie kennt das Ziel, und ich brauche ihr nur zu folgen. Sie marschiert los, und schon nach Kurzem über eine Straße, durch eine Grünanlage und wieder über eine Straße ein kurzes Stück geradeaus und dann um die Ecke und wir sind da. Dieser Weg ist kaum halb so lang, wie der, den wir sonst gegangen waren. Winnie hat selbstständig den kürzeren Weg gefunden.

Was versteht ein Hund eigentlich?

Ich bin immer wieder verblüfft, wenn ich feststelle, wie logisch, intelligent, und selbstständig Winnie entscheidet. Als es das erste Mal passierte, sagte ich Zufall. Aber es passiert immer wieder. Solange ich mit leerem Einkaufswägelchen unterwegs bin, bringt sie mich unbekümmert zur Treppe. Ist mein Wägelchen aber voll und schwer, führt sie mich „ohne meine zusätzliche Aufforderung“ zum Lift. Ich habe mich wirklich genau kontrolliert, und ganz bewusst jegliche Hilfestellung vermieden. Die Entscheidung trifft sie tatsächlich alleine.
Auf meinem Einkaufswägelchen befinden sich drei übereinandergestapelte Getränkeflaschenträger. Ich muss sie, obwohl ich unsicher bin, wie ich damit, ohne umzuwerfen, über das Kopfsteinpflaster und die Bordsteinkanten komme, irgendwie zum Getränkemarkt schaffen. Ich habe keine Ahnung, wie ich Winnie das Problem, noch – ihr die Lösung erklären könnte. Also starten wir. Ich gebe die Richtung an, und… Winnie setzt sich in Bewegung, führt zur Bordsteinkante hin, dort wo sie zur Straße hin für Rollstühle und Kinderwagen abgeflacht -, und also auch für mein Gefährt problemlos zu überwinden ist. Nach der Straßenüberquerung kommen wir auf ein Stück Katzenkopfpflaster. Schnell merkt Winnie, Die Sache wird wackelig, ruckelt und holpert. Sofort geht sie zurück zur Straße, und versucht es an einer anderen Stelle. Dort ist kein Katzenkopfpflaster, aber der Bordstein ist hoch. Sie begreift und geht auf der Straße weiter, bis wir an eine abgeflachte Stelle, ohne Katzenkopfpflaster kommen. Seither nimmt sie diesen Weg immer, aber nur wenn wir mit Flaschenträgern auf dem Einkaufswägelchen unterwegs sind.

Unfall und die Folgen

Diesmal sind vier Hunde auf dem Reiterhof. Zwei davon sind Jungspunde, können sich in Gegenwart der Pferde noch nicht richtig benehmen. Damit sie die Pferde nicht erschrecken, werden, der Einfachheit halber, alle, ohne Ausnahme nach draußen verbannt und das Gatter geschlossen. Alle akzeptieren das, außer Winnie. Sie sieht zu, wie ich ihren Freund, in die Reithalle führe, reißt sich los und zwängt sich unters Gatter, um zu ihrem geliebten „Faxi“ zu kommen, bleibt aber an einer nach unten stehenden Schraube hängen, die sich in ihr Fell bohrt und schreit auf. Sie hat sich die rechte Seite, von der Schulter bis zur Hüfte aufgerissen muss sofort zum Tierarzt und genäht werden. Unter Narkose, klar. Die Wunde ist so schlimm, dass sie ein paar Tage beim Tierarzt bleiben muss.
Wieder daheim, muss sie täglich mehrmals neu verbunden werden – und einen Body tragen. Diesen Body will sie unbedingt loswerden, damit sie sich ihre Wunde lecken kann. Also gibt’s einen Trichterkragen über Nacht, beschließe ich. 20 Minuten steht der Dickkopf mitten im Wohnzimmer, als wollte sie sagen: „Mit diesem Ding kann ich mich nicht hinlegen!“ Ich beschließe einfach so zu tun, als würde mich das nicht kümmern, und gehe ins Bett. Sie scheint empört zu sein. Denn nach kurzem höre ich ein Geschepper. Sie knallt dem stabilen Plastikkragen gegen meinen Computerschrank, sodass ich vor Schreck fast aus dem Bett falle. Ich hole sie ins Schlafzimmer und schicke sie in ihren Korb. Die Schlafzimmertüre bleibt offen. Sie legt sich nicht hin. Irgendwann wird sie müde sein, denke ich und versuche mich zu entspannen. Ein noch lauteres Geräusch lässt mich hochfahren. Winnie steht an der Wohnungstür und knallt den Trichter an das Holz. Es ist ganz sicher im ganzen Haus zu hören. Ich habe eine Menge Nachbarn… Schleunigst nehme ich ihr den Trichter wieder ab. Es muss also ohne Trichterkragen gehen.

Noch lange nicht angekommen

Mittlerweile ist auch Winnie in die Jahre gekommen, und es ergeht ihr nicht anders, wie uns. Verschiedene Zipperlein stellen sich ein, und es wird Zeit, in Pension zu gehen. Wir lernen Vroni kennen, nehmen sie mit nach Hause. Ist Winnie gastfreundlich? Gastfreundschaft stelle ich mir dann doch etwas anders vor. Sie erklärt dem 2-jährigen Schäfermädchen sofort, dass hier sie, Winnie, und sonst niemand, das Sagen hat. Und sie, Winnie, hatte sie nicht gebeten mitzukommen. Aber da bin ja noch ich, der Oberhund…

Vroni zieht ein

Ich habe gleich mehrere Hundebettchen bereitgestellt. Sie versucht in einem davon Platz zu nehmen. Winnie baut sich wie eine ungnädige Hausmeisterin vor ihr auf und erklärt ihr ohne einen Laut von sich zu geben: „Hier nicht!“. Vroni verlässt gehorsam das Kissen, versucht es mit einem anderen. Mit dem selben Ergebnis. Winnie steht schon da und erklärt: „es gehört auch mir! Alle Betten und Kissen sind meine. Verstanden?“ Schüchtern tappt Vroni durch die Räume, findet einen Gummiring. Er riecht nach Hundespielzeug. Da steht schon wieder Winnie: „Gehört auch mir! Alles hier gehört mir. Ist das endlich klar?“
Vroni schläft diese Nacht, obwohl ich ihr ein Bettchen zuweise, auf dem Fußboden, dicht an meinem Bett. Ist ja nur für eine Nacht, denke ich. Aber was wird, wenn Vroni für immer bei uns einzieht…?

Es ist so weit… Vronis verbringt das Wochenende bei uns. Gleich beim ersten Gassigang. Ich halte das Führgeschirr, wie gewohnt, in Schlupfhöhe, wartete dass Winnie, wie gewohnt, sich darin einfädelt. Es dauert etwas länger, ich locke: „ZZ, Piede!“. Schwupp, schiebt sich ein Hundekopf durch die Riemen. Winnie…? Oh nein… Vroni hat ganz selbstverständlich ihren Job angetreten. Von da ab ist das Eis gebrochen. Sie darf problemlos in eins der Betten, darf sogar an Winnies heißgeliebten Gummiring herumkauen. Na klar, nur so lange, bis Winnie darauf Anspruch erhebt. Am nächsten Morgen dasselbe Spiel. Ich biete das Führgeschirr an, und Vroni schlüpft rein. Ich habe keine andere Deutung für Winnies Reaktion, als: „Wenn sie arbeiten möchte, soll’s mir recht sein.“ Sie wirkt nicht frustriert, verärgert oder sonst irgendwie missmutig. Sie hilft Vroni sogar manchmal ein Problem zu lösen, für das die „Kleine“ selbst noch keine Lösung weiß. Und ich dachte, ich würde Winnie nach ihrer Pensionierung zu Freunden geben müssen, weil sie ihrer jungen und noch schüchternen Nachfolgerin keine Chance lassen oder sich mit ihr pausenlos zoffen würde.

Wer lernt von wem?

Vorerst lasse ich Winnie an Vronis linker Seite mitlaufen. So zeigt die alte erfahrene Lady der jungen Azubi wie man Unklarheiten klärt, wie man den Straßenverkehr richtig einschätzt usw. Dann aber bleibt die alte unpässliche Dame zuhause. Vroni muss alleine entscheiden. Dabei stellt sich raus, Vroni hat es sich bequem gemacht. Jetzt, da sie selbstständig auch schwierigere Aufgaben lösen muss, sucht sie nach der alten Lehrmeisterin. Na klar. Sie schafft es auch allein. Sie ist ja ein kluges Mädel. Es war eben nur so schön bequem mit Winnie Man brauchte seinen Grips nicht zu strapazieren, sondern nur um Hilfe rufen. Damit ist Schluss. Aber auch ich habe dazugelernt. Ab sofort läuft Winnie an meiner rechten Seite, und Vroni kann beweisen, was sie drauf hat.

Die beiden sind so unterschiedlich, wie man eben nur sein kann. Winnie selbstbewusst und unbekümmert, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Eigensinnig und im Freilauf unabhängig, im Führgeschirr durch nichts zu beeindrucken, steht sie ihrer Umwelt gegenüber. Sie scheint zu fragen: „Was kostet die Welt? Ich kauf mir ein Stück davon!“ Vroni dagegen: vorsichtig, zurückhaltend aber sehr kooperativ und lernfreudig aber noch etwas unsicher, sehr aufmerksam und leicht erregbar. Ihre Devise mag lauten: „Kann ich was für dich tun? Spielen wir miteinander?“ oder „das hier ist unser Weg. Hier hat niemand sonst etwas verloren. Also weg, weg, weg!“ Sie muss jeden vertreiben, meist Hunde aber manchmal auch Menschen. Es wird noch ein gutes Stück intensive Erziehungsarbeit kosten, bis die Spaziergänge stressärmer werden.

Einweisungslehrgang

Wir sind mit Vronis Ausbilderin unterwegs. Üben Umsteigen, an verschiedenen Haltestellen, in verschiedene Verkehrsmittel. Sitzplätze suchen und anzeigen, auch die Bänke an den Haltestellen und dort auf die Busse, und Bahnen warten. Verkehrsmittel trifft ein, zur Türe führen, einsteigen. Sie checkt die Situation, stellt fest, an welcher Bus- oder Bahntüre am wenigsten Leute warten, und steuert dann jedes Mal die Türe an, an der wir am schnellsten rein kommen. Na klar, sie hat es eilig. Diese Menschen sind alle so langsam.

Durch den Winter

Hätte nicht gedacht, dass auch die Wege durch die Wohnsiedlungen nur Mangelhaft geräumt sind. Wie wird das erst auf den Waldwegen sein? Na sei’s drum; die Hunde müssen raus, da beisst die Maus keinen Faden ab. Soll’s Schusterbuben schneien oder meinetwegen auch Elefantenläuse. Gehsteigenden sind kaum noch wahrzunehmen. Vorsicht, Straße!!! Die Autos schleichen sich auf flüsterreifen daher, sind erst aus nächster Nähe zu bemerken. Na gut, wir sind ja bald am Waldrand.

Seit Wochen haben wir richtigen Winter. Spät ist er eingetroffen. Jetzt will er uns anscheinend beweisen, was er so drauf hat. Immer wieder schneit es. Kaum dass sich der letzte Schnee ein wenig gesetzt hat, die Wege etwas ausgetreten sind, kommt Nachschub. Wer hat da behauptet, es gäbe keinen richtigen Winter mehr? Mittlerweile werden meine Spaziergänge, so sehr ich sie und den Schnee sonst liebe, immer mühsamer für mich.

Aber die Hunde freuen sich, können es kaum erwarten, sich von den Leinen befreit hineinzuwerfen, sich zu wälzen und sich zu überkugeln. Das ist pure Lebensfreude. Vroni wird nicht müde, bald nach vorne, bald nach hinten, zur einen, dann wieder zur anderen Seite zu toben. Sie hüpft wie ein Riesenkarnickel über die Schneehaufen, taucht manchmal bis zum Hals ein, verliert den Halt, rappelt sich wieder auf und kommt auf meinen Ruf prustend, sich schüttelnd, ein kleines Schneegestöber veranstaltend zu mir, und ist, auch schon wieder, kaum meine Erlaubnis abwarten zu können, unterwegs. Sie ist eben erst zwei gewesen, und weiß mit ihrem Elan nicht wohin. Ihretwegen sind wir hier. Jeder Artgenosse, der uns begegnet, wird sofort lautstark zum Spiel aufgefordert. Langbeinige Typen, wie Wippets, Greyhounds oder Barsois und Saloughis werden bevorzugt. Deren Renntempo ist für sie gerade das Richtige.

Winnie sieht zu, als wollte sie sagen: „Na ja, die Kinder!“ Auf versehentliche Rempeleien reagiert sie allerdings so ungnädig, dass die Rüpelbande bemüht ist, ihr auszuweichen. Das alte Mädchen trottet brav hinter mir her, um Kraft zu sparen und ihre Gelenke zu schonen. Zuhause bleiben wollte sie aber doch nicht. Anscheinend vertritt sie die Olympische Ansicht: „Dabei sein ist alles!“

Ich habe Mühe, überhaupt einen Weg zu finden. Davon, eine gewohnte Route einzuhalten, ist keine Rede. Immer undeutlicher ist der Harte Untergrund unter der lockeren Schneedecke von gestern zu fühlen. Immer öfter stehe ich plötzlich mitten im Tiefschnee, und suche nach dem Pfad. Die Akustik ist durch die Wattelandschaft schon gedämpft und gibt kaum noch Orientierungshilfen her. Irgendwann müssen wir doch auf eine der Forststraßen kommen, die den Wald durchziehen.

Es ist wärmer geworden. Oder bilde ich mir das nur ein? Kommt das vielleicht nur von der körperlichen Anstrengung und der Konzentration? Mir fällt jetzt auch auf, dass wir schon eine ganze Weile keinem Menschen mehr begegnet sind. Na bravo! da fängt es auch noch an zu schneien. Das hat mir noch gefehlt… Jetzt ist der letzte Rest meiner akustischen Orientierungsmöglichkeit auch beim Teufel. Und das mitten im Perlacher Forst.

Wo ist die nächste große Forststraße…? Vielleicht sind da doch noch andere Hundler oder sonstige Unentwegte unterwegs. Von Fern her Hundegebell. Meine Hoffnung steigt. Aus welcher Richtung ist das nur gekommen? Der dichter werdende Schneefall verfälscht die Ortung. Wieder stolpere ich, stehe im Tiefschnee. Herumtasten mit dem Stock… Kein fester Grund, der einen Weg vermuten ließe… Habe ich mich gedreht? Die Richtung verloren? Langsam wird mir mulmig.

Ein Stoß gegen meine Kniekehle. Mir wird bewusst, es war nicht der Erste… Nasses Fell, Hundeschnauze, wiederholter Stoß in die Kniekehle. Winnie meldet sich: „willst Du hier festwachsen?“ Kurz entschlossen ziehe ich ihr das Führgeschirr über, das eigentlich nicht ihres ist. Und obwohl sie seit Monaten schon Rentnerin ist, und diesen Zustand sichtlich genießt, macht sie das, was sie jahrelang getan hat. Sie zieht los, und bringt mich auf den kaum spürbaren Fußweg. Jetzt ist auch Vroni da. Ich nehme Winnie das Führgeschirr ab, und lege es ihrer Nachfolgerin an, der es ja gehört. Tatsächlich – sie beweist mir, dass sie begriffen hat, worum es geht. Ohne zögern führt sie weiter, und Winnie tappt hinter uns her.

So Stapfen wir eine ganze Weile im dichten Schneetreiben dahin. Meine Überlegung, mein Handy zu nutzen, um jemanden um Hilfe zu bitten, verwerfe ich. Ich könnte doch nicht einmal ungefähr sagen, wo ich mich befinde. Der Perlacher Forst ist kein kleiner Stadtpark. Außerdem wäre es mir peinlich, die Leute zu behelligen. Wohin führt der Weg eigentlich…? Plötzlich sind wir auf einem breiten festen Weg. Es muss eine der Forststraßen sein. Aber in welche Richtung soll ich nun? Links, beschließe ich.

Die Hunde lasse ich wieder laufen. Aber sogar Vroni entfernt sich nicht sehr weit von mir. Von vorn ein Geräusch. Es kommt näher, – hört sich nach einem schweren Motor an. Ich nehme die Hunde zu mir, gehe aber nicht, wie sonst, aus dem Weg, bleibe stehen und winke mit beiden Armen.

Kurz vor mir stoppt der Laster, und eine Männerstimme brüllt mich an:
„Bist du verrückte Hexe von allen guten Geistern verlassen? Ich hab Feierabend, Ich will Heim, schleich dich mit deinen Kötern!“ Ich brülle zurück: „Sofort, wenn Sie mir sagen, wohin ich komme, wenn ich hier weitergehe.“ Ich bleibe stehen wie festgefroren. Der Typ scheint zu ahnen, dass ich mich nicht so einfach verscheuchen lasse. Dann höre ich, wie er aus dem Wagen springt, wie die Türe zufällt, – er auf mich zukommt. Der Hat sicher gute Lust, mich zu ohrfeigen, denke ich. Er hat noch ein paar Unfreundlichkeiten übrig, die er auf dem Weg zu mir los wird. Was soll’s, ich brauche eine Auskunft. Bei mir angekommen, legt er wieder los. Schwach lächelnd schüttle ich nur den Kopf, und endlich lässt er mich erklären. „Ich hab nicht bemerkt, dass Sie blind sind“, sagt er dann, und seine Unfreundlichkeit von vorhin, scheint ihm wirklich leid zu tun. „Aber, wie kann man nur, wenn man blind ist, mit zwei Hunden und bei solch einem Wetter allein im Forst herumrennen?“ Meine Antwort: „Ohne Hunde wäre ich nicht unterwegs“ quittiert er mit Gelächter. Dann bekomme ich die gewünschte Auskunft.
„Ich hätte Euch ja auch mit raus genommen, wenn’s möglich wär’. Aber zwei Hunde im Führerhaus…?“

Die von mir eingeschlagene Richtung, war schon richtig. Aber wir haben noch ein ordentliches Stück Wegs, bis zum Forsthaus und dann erst zum Bus. Jetzt, da meine Anspannung nachlässt, – ich wieder weiß, wo wir sind, merke ich, dass ich durch und durch nassgeschwitzt bin, dass mir das Wasser in der Kreuzkuhle steht. Darauf zu achten, hatte ich vorhin keine Zeit.

Heingekommen, ausgezogen, die Hunde versorgt, sitze ich auf meinem Sofa und lausche den Nachrichten im Fernsehen. Das Ende davon bekomme ich nicht mehr mit. Irgendwann wache ich in völlig verdrehter Haltung auf. Jeder Knochen tut weh. Es ist nach Mitternacht, und mein Bett ruft nach mir. Davon muss ich wohl aufgewacht sein.

Wenn wir nicht raus können

Es regnet heute schon den ganzen Tag, so daß größere Spaziergänge nicht wirklich Spaß machen. Aber wenn wir längere Zeit zuhause sind, wird es Vroni langweilig. Dann kommt sie, stupst mich an und will beschäftigt werden. Für solche Fälle haben wir Spiele gelernt, wie: Ballspielen, allerlei kleine – und größere Dinge aufheben und mir in die Hand geben oder auf mein Verlangen hin, auf einen von mir bezeichneten Platz legen. Oder ich verstecke Sachen, die sie suchen und bringen kann oder räumen die Wäschetruhe ein. Dafür gibt es natürlich immer ein Leckehrchen.
Also beschließe ich, wir spielen zwei Spiele gleichzeitig, „Sachen verstecken und –Truhe einräumen“. Ich suche 3 paar Socken aus der Wäschetruhe raus verstecke sie, während Vroni im Bad wartet, in der Wohnung verteilt. Dann schicke ich Vroni zum suchen. Bald kommt sie mit dem ersten Socken an, holt sich ihr Leckehrchen ab und sucht weiter. Schlag auf Schlag findet sie immer schneller die Teile und ich komme gar nicht dazu, genau zu kontrollieren, was sie da in die Wäschetruhe wirft. Nach dem 6. Teil sind wir (meiner Meinung nach) fertig und Vroni bekommt ihren Jackpot.
Um 22:30 Uhr wollen wir noch zum letzten Gassigang raus, ich lasse mir, wie immer, meine „Schlappen“ bringen. Vroni findet aber nur einen. Ich verlange, daß sie auch den 2. – sucht; vergeblich. sie läuft da hin und dort hin, mehrmals ins Bad, aber sie findet ihn nicht. Also gut, das Haus verliert ja nichts, sage ich mir; und ziehe ein anderes Paar an. Am nächsten Morgen verlange ich wieder: „Vroni, Schlappen!“ Sofort geht sie ins Bad und klappert mit dem Wäschetruhendeckel. Da geht mir ein Licht auf und ich sehe nach. Tatsächlich… Sie hat gestern, statt einem der Socken, einen von meinen Schlappen reingeschmuggelt. Sie taucht kurz ab in Richtung Wohnzimmer, erscheint sofort wieder und als ich in die Hand nehme, steht sie neben mir, und hält mir den letzten Socken von gestern hin.

Eine Kutsche für eine Lady

Am 15.August, das ist, wie jeder weiß, ein Hoher Feiertag. Viele Leute haben den Montag frei genommen und also ein verlängertes Wochenende zum wegfahren genutzt. Deshalb finde ich auch keinen der Hundleer, der Lust hat, mit mir einen längeren Spaziergang zu machen. „Na dann“, sage ich zu meiner Vroni, „ziehen wir halt alleine los.“ Vroni ist einverstanden und ich wähle ein Ziel, ca. 15 Km entfernt. Den Weg dorthin kenne ich ungefähr. Notfalls kann man ja auch fragen. Es ist eine wunderschöne Wanderung, immer mitten durch den Wald, bis wir in dem kleinen Dorf ankommen und in der „Solalindener Einkehr“ Rast und Mittag machen.

War es am Morgen noch kühl gewesen, so hat es inzwischen ca., 28°. Als wir wieder aufbrechen, merke ich gleich, daß Vroni keine große Lust hat, den ganzen Weg wieder zurückzulaufen. Ich erkundige mich nach einer Busverbindung und erfahre: „Ja, einen Bus gibt es schon. Aber er verkehrt nur an Werktagen.“ Das heißt nichts anderes, als doch den Rückweg zu Fuß antreten. Nach dem kürzesten Weg gefragt, die richtige Abzweigung verpasst, landen wir im Nachbardorf. Es gibt sicher auch hier jemanden, den wir fragen können, ist meine Überzeugung.

Das erste Lebewesen, das sich bemerkbar macht, ist ein Hofhund, der sich ganz außerordentlich für Vroni interessiert. Er kann gar nicht genug von ihr bekommen, und ich versuche vergeblich ihn los zu werden. Dann höre ich, nicht weit entfernt ‚Stimmen und rufe in die Richtung: Bitte, könnten Sie den Hund zurücknehmen!“ Sofort kommt ein junges Mädchen und Entschuldigt sich dafür, das sie den Hund frei rumlaufen habe lassen. „Kein Problem“, antworte ich. „Er ist ja ein friedlicher Kerl. Aber, wenn sie nun schon mal da sind, könnten sie mir den kürzesten Weg nach Waldperlach oder – Neuperlach beschreiben.“ „Ich möchte Ihnen ja gern Helfen“, gibt das Mädchen zurück. „Nur das ist nicht so einfach. Wenn Sie sich aber getrauen, auf einer Kutsche mitzufahren, und wenn Ihr Hund einsteigt und sitzen bleibt, fahren wir Sie gern rüber zum Waldrand von Neuperlach. Wir haben grade einen von unseren Friesen angespannt“

Es stellt sich raus, dass noch zwei Girls da sind, die beiden Schwestern, alles Reiterinnen. Dieses Angebot kann ich unmöglich abschlagen. Die Aussicht auf eine unverhoffte Kutschfahrt, ist einfach zu verlockend. Nachdem ich den Wallach ein wenig geknuddelt habe, führt mich eine der 3 nach hinten. Und, was soll ich sagen, Vroni steigt in die Kutsche, als täte sie das jeden Tag. Wir Menschen nehmen unsere Plätze ein, und los geht’s. Vroni sitzt mit dem Rücken gegen die Fahrtrichtung und sieht sich das Panorama von hinten an. Sie ist zufrieden, findet das ganz in Ordnung. Vermutlich denkt sie, ‚Okay, Frauchen weiß was sich gehört. Bei dieser Hitze, läuft man mit mir nicht so lange rum‘.

Die Mädels wollten nichts für ihre Gefälligkeit haben. Aber ich habe eine Visitenkarte von den Kutscherinnen bekommen. Werde mich mal mit ihnen in Verbindung setzen, und natürlich gegen korrekten Lohn eine oder auch mehrere Kutschfahrten für mich und meine Freunde buchen. Inzwischen haben wir Mailkontakt und ich bin schon dabei, Freunde für eine Kutschfahrt durch den Truderinger Forst zu interessieren.

Wenn Frauchen groggy ist

Weihnachten werde ich bei der Familie verbringen. Die Fahrkarte habe ich in weiser Voraussicht, schon am Vortag besorgt. Bis ich mich allerdings am Morgen des 23. Dezember vergewissert habe, dass der Zug, der am Gleis 32 steht, auch wirklich meiner ist, und ich beruhigt einsteigen kann, ist der natürlich brechend voll. Na dann, seufze ich, und lasse Vroni voraus einsteigen. Am Rücken den Rucksack mit meinem Laptop, wuchte ich meine Riesige Reisetasche, über die Stufen hoch. Au Backe, wie komme ich, aber vor allem mein Hund, da noch unter? Erst einmal nehme ich Vroni das Führgeschirr ab, dann sehen wir weiter. Und während ich noch eingeklemmt zwischen Gepäckstücken und Reisenden etwas hilflos dastehe, hat sich Vroni bereits selbstständig einen Platz gesucht. Sie sitzt sicher und bequem in dem Holraum, der sich dort befindet, wo die Lenen der Sitze zusammenstoßen. Die Mitreisenden sind begeistert von dieser Clevernests, machen mir sogar einen Sitzplatz frei. Außerdem bietet man mir auch noch Hilfe beim Umsteigen an,

Auf der Rückfahrt am 1. Januar, mache ich mir über die Platzfrage schon keine Sorgen mehr. Aber ist bin ziemlich groggy. Die Erkältung, die ich mir eingefangen habe, ist noch nicht ausgestanden. Wir nähern uns München, und ich überlege, ob ich nicht besser zum heimfahren ein Taxi nehme. Komme aber zum Schluss, dass es wohl anstrengender sein würde, Auf den Vorplatz hinaus, dort ein Taxi suchen und dann womöglich von einem schlecht gelaunten Fahrer erklärt bekomme, dass er mich mit meinem Hund nicht transportieren könne, weil er Tierhaarallergiker sei. Nein, das erspare ich mir. Dann doch gleich lieber mit U-Bahn und Bus.
„Metro!“ Verlange ich also, als wir am Bahnsteig stehen. Brav trabt Vroni los und geht Richtung U-Bahn. Dort führt sie aber, nicht wie sonst zur Steintreppe sondern, noch bevor ich einen Wunsch äußern kann, um diese herum und zum Lift, der uns nach unten bringt.

Am Zentrum steigen wir aus. Sofort bringt sie mich an die Rolltreppe, lässt sich die Leine abnehmen, Läuft, da sie diese nicht betreten darf, die normale Treppe hoch und holt mich oben ab. Diese Übung haben wir vor einem Jahr mal gelernt, seither aber nie gebraucht. Sie hat sie sich trotzdem gemerkt. Vor allem aber beeindruckt mich die Tatsache, daß sie genau weiß, wann es auf sie ankommt und was sie dann zu tun hat.

Immer für eine Überraschung gut

Spaziergang nach Waldperlach. Nichts Besonderes. Außer, dass wir wieder einmal einen neuen Weg ausprobieren. Irgendwo biegen wir falsch ab und kommen an die Hauptverkehrsstraße. Na dann, denke ich, müssen wir eben eine ganze Weile an der entlang Richtung Busstation. Rechts mündet die Straße ein, von der wir für gewöhnlich immer aus dem Wald kommen und zum Bus gehen. Wir überqueren und… Totalabsperrung. Müssen wir jetzt auf die vielbefahrene Straße…? Offenbar nicht. Vroni sieht sich kurz um, macht dann kehrt, geht bis zur Bauernwaldstraße zurück und in sie hinein. „Was willst Du hier?“ frage ich irritiert. Sie aber lässt sich nicht beirren. Sie biegt plötzlich in einen kleinen Trampelpfad ein, den wir, wie mir einfällt, im vorigen Jahr irgendwann schon manchmal benutzt haben, wenn wir vom Wald zum Bus gegangen waren, und kommen wieder an die Hauptstraße. Da spricht uns ein Mann an: „Wir, meine Frau und ich, haben Ihnen gerade zugesehen. Da haben Sie aber einen tollen Kameraden. Wie lernt ein Hund so etwas? Einen Umweg zu finden und auch noch zu registrieren, dass der wirklich hinter der Absperrung rauskommt?“ Ich zucke nur die Schultern und lobe mein Mädchen. Was hätte ich auch antworten sollen. Ich bin doch selbst überrascht.

Was soll ich dazu sagen?

Spaziergang, Ballspiel inbegriffen. Ganz einfaches Apportieren? Langweilig… Verstecken, wie gewohnt? Keine wirkliche Herausforderung… Na gut, denke ich uns lasse Vroni absitzen, gehe um die Ecke dorthin, wo sie mich nicht sehen kann und werfe den Ball ins Gebüsch. _Dann rufe ich Vroni und lasse sie suchen. Sie macht sich sofort daran, ich rufe: „Bring hier!“, sie kommt – ohne Ball. „Such, Vroni such!”, verlange ich. Vroni hüpft ins Gebüsch, das klingt nicht wirklich nach eifriger Suche. „Such, Vroni such den Ball!“, ermuntere ich sie. Sie tigert durchs Gebüsch, scheinbar gehorsam aber lustlos. „Bring den Ball, hier her!“ Sie kommt, ist guter Dinge, – aber ohne Ball. So geht das seit ca. 5 Minuten, dann eben nicht, beschließe ich und sage: „na dann gehen wir eben ohne Ball Heim. Schluss mit Spielen!“

Gehorsam tappt sie neben mir her, „Fuß“… Nach einer Weile horche ich genau hin… Das hört sich an wie … Sie kaut doch an quietschendem Gummi…? Nach ihrer Schnauze fassend, stelle ich fest, sie trägt ihren Ball. Sie hatte ihn offenbar sofort gefunden, und mich an der Nase herumgeführt und so getan, als könne sie ihn nicht finden. Wortlos nehme ich den Ball an mich und stecke ihn ein. Soll ich nun lachen oder mich ärgern. Ich schüttle nur den Kopf.
Und dabei hatte sie mich vor ein paar Tagen genauso verblüfft. ..
Ich war mit meiner Freundin zu einem Konzertbesuch verabredet und einigermaßen knapp in der Zeit. Natürlich passiert es dann… Mein Ohrstecker entwischt mir und.. wo ist er jetzt? Gerade bei einem Ohrstecker, will ich mir nicht von Vroni helfen lassen. Sie könnte sich, an dem spitzen Dorn verletzen. Sie kommt aber ganz von selbst, steht plötzlich neben mir und bückt sich. Sie wird doch nicht… denke ich… Da schnaubt sie unter meinen Computerschrank und stupst mich an, „Es liegt dort unten, ich kann es nicht greifen!“, scheint sie zu sagen. Ich fasse dorthin, wo sie mit ihrer Nase gezeigt hatte und… da ist der Ohrstecker. Ich hatte sie nicht aufgefordert, – ihr keinen Befehl gegeben, ich hatte es gar nicht gewagt, das zu tun. Sie hatte einfach gemerkt, dass ich ihre Hilfe brauchte. Und ich? Ich kann mich nur freuen, kann sie loben und belohnen. Begreifen kann ich es aber nicht.

Es gibt solche – und andere Tage

Zwei Stunden haben wir nun schon im Ostpark zugebracht. Haben mit dem Ball gespielt, andere Hunde getroffen , sind mit ihnen um die Wette gerannt und haben im See und im Bach geplanscht. Jetzt, so denke ich, sollte es reichen. Irgendwann müssen wir nach Hause. Also ziehe ich Vroni das Führgeschirr an und sage: „Statione!“. Sie läuft ein kurzes Stück, biegt dann nach links ab, wieder in den Park zurück. Ich korrigiere, wiederhole „Statione!“, sie geht wieder einige Meter und dann wieder zurück Richtung Park. Beim vierten Versuch ändere ich die Taktik. Ich verlange, „passare!“ und wir überqueren die Strasse, dann erneut: „Statione!“. Aber merkwürdiger Weise findet sie keine einzige Haltestelle, obwohl ich weiß, dass deren vier im Umkreis sind. Na gut, denke ich, dann eben zu Fuß Heim. Nach energischer Aufforderung trabt Vroni merklich lustlos dahin.

Zu Anfang geht’s die mir gut bekannte Quiddestraße entlang. Dann wird der Straßenverkehr merklich leiser und dünner. Nanu, denke ich, wohin sind wir geraten? „Casa!“, verlange ich wiederholt. Vroni trabt unbeirrt weiter. Dann steigt der Weg an, das Verkehrsgeräusch kommt wieder näher, aber jetzt unter mir. Das kann doch nur die Quiddestrasse sein, überlege ich. Wir sind auf der Fußgängerbrücke, die darüber führt. An deren Anfang müsste ein Weg dort hin führen, und dann weiß ich wieder… Aber Vroni findet heute auch diesen Weg nicht. Sie dreht um und folgt unbeirrt der alten Richtung. Wieder bin ich verunsichert, verlange am Brückenende nochmals zur Straße, ohne Erfolg.

Also wieder weiter in die alte Richtung. Nach einer Weile höre ich, noch etwas entfernt, Autos vorüberfahren. Soeben kommen mir Leute entgegen. Bitte könnten Sie mir sagen, „Welche Straße das ist, die dort vorne quert?“, spreche ich sie an. „Charles Degaule“, bekomme ich erklärt. Ich bedanke mich und bin zufrieden. Diese Straße führt zum PEP, wie ich weiß. Dort kann mich mein Hund nicht mehr vorführen, dort kenne ich mich gut aus.

Mein Hund bekommt die Weisung, an dieser Straße, nach rechts weiter zu gehen, und das passiert auch. Erleichtert denke ich, gleich sind wir am PEP. Aber es dauert lange, zu lange. Wir müssten längst dort sein. Und dann entfernen wir uns wieder von der Straße. Ach ja, denke ich, wir sind schon im Fußgängerbereich des Zentrums. Doch dann ist die Straße wieder links von uns und ich rätsle wieder, wo wir sind. „Casa!“ verlange ich erneut, bereits ziemlich entnervt. Vroni trabt unbeirrt weiter. Ja und wie das so ist, wir begegnen auch keinen Menschen, den ich nach dem Weg fragen könnte.

Dann plötzlich biegt mein Hund nach rechts ab und ich bemerke ein Bushäuschen, höre dort Leute, die sich miteinander unterhalten. Na endlich, denke ich und spreche sie an: „Verzeihung, welche Haltestelle ist das hier?“. „Holzwiesenstrasse!“, bekomme ich zur Antwort. Ich bin verblüfft. Wir sind ja schon fast daheim… „Casa!“ wiederhole ich, und mein Hund setzt sich wieder in Bewegung. Noch ist mir aber nicht klar, an welcher der drei Haltestellen wir gerade vorübergekommen waren. Irgendwie stimmt die Richtung nicht. Also drehe ich um und frage genauer: „Welche Straße ist dort hinter mir?“ „Ständlerstrasse!“ ist die Antwort.

Jetzt reicht’s. Die Hexe wollte mich also noch weiter herumführen. Sie hatte genau die Gegenrichtung eingeschlagen, in der unsere Wohnung liegt. „Awanti, Lampada!“ verlange ich energisch. Nirgendwo eine Ampel, nirgendwo ein Übergang… Nach ein paar Unterordnungsübungen, „Sitz!, Platz,! Steh!, rechts und links einpassieren“, mehrmals wiederholt, entschließt sich Vroni doch eine Ampel zu finden. Wir umlaufen die ganze Kreuzung und als wir bereits an der richtigen Straße sind, versucht sie tatsächlich noch einmal in die andere Richtung zu drängen.

Jetzt, wo ich genau weiß wo wir sind, greife ich durch, setze sie auf ihr Hinterteil, fasse sie über die Schnauze und verlange zum letzten mal „Casa!!!“ diesmal so energisch, dass ihr klar ist, das Maß ist voll. Sie strebt sofort unserem Hauseingang zu. Aber für den heutigen Abend sprechen wir nur noch „dienstlich“ miteinander…

Zurück, aber wie?

Schon als ich mir die Adresse der Praxis angesehen habe und feststellte, sie liegt im Tal, überlegte ich, ob ich mich nicht besser von meiner Freundin Maxie dort hin bringen lasse. Dort kenne ich mich fast gar nicht aus. Außerdem wimmelt der Bereich um den Marienplatz, wo ich die U-Bahn verlasse, und wo auch „das Tal“ anfängt, vor Touristen. Das heißt mit anderen worden, von 20 Leuten, die man dort antrifft, sprechen 10 nicht Deutsch, 5 sind von außerhalb , wissen selbst nicht Bescheid und 3 sind in Eile. Mit Glück erwischt man dann einen der 2 Übrigen, die weiterhelfen wollen und können. Hier ist auch Vroni überfordert. Wie soll ich Ihr klar machen, wohin ich will, wenn ich es selbst nicht weiß? Leider hat Marie ausgerechnet an diesem Tag selbst einen dringenden Arzttermin, kann also nicht mitkommen. Daher muss ich es mit Vroni alleine hinbekommen. Wir brechen zeitig genug auf, damit ich trotz längerer Umwege (Fehlinformationen sind schließlich nicht selten), den Termin trotzdem schaffe.

Wir stürzen uns ins Gewühl, erreichen das Tor, (bis dorthin gibt es ja noch kein Problem), dann versuche ich jemanden anzusprechen. Beim 3. Mal ist es sogar ein Deutsch sprechender, leider kein Münchner. Nach einer Weile habe ich Glück. Die Adresse ist gar nicht schwierig zu finden. Es bleibt sogar noch etwas Zeit für einen Kaffee. In der Praxis läuft alles bestens. Mein Hund wird akzeptiert und darf in der Anmeldung warten, bis ich wieder raus komme.

Wieder auf der Straße: Menschen über Menschen. Sie überholen -, schneiden -, rempeln uns. Arme Vroni, denke ich. Woher kommt das viele Volk? Muss denn niemand arbeiten? „Metro!“ verlange ich von ihr. Mit einem Mal wird es ruhiger um mich. Na nu, denke ich. Wohin sind die jetzt alle verschwunden? Wir überqueren eine Straße, eine zweite und noch eine. Wann kommt das Tor, durch das wir müssen, um zum Marienplatz zu kommen? Wir sollten es längst passiert haben.

Mir schwant Schreckliches. Hat sich Vroni verfranst? Hat sie sich abdrängen lassen? Verübeln könnte ich es ihr nicht. Verzweifelt wiederhole ich: „Metro!“ Was mache ich nur. Ich kann sie ja nicht korrigieren, wenn ich nicht weiß, wohin… Und jetzt ist auch Keiner in der Nähe, den ich fragen könnte…

Vroni aber marschiert zielsicher drauf los, wendet sich plötzlich nach links, wir treten unter eine Arkade, und … da ist die Treppe zur U-Bahn vor mir. Jetzt erkenne ich auch akustisch, den Punkt, an dem wir uns befinden. U-Bahn Abgang beim Kaufhof.

Ich umarme und kraule mein Mädchen. Sie hat nicht nur gute Nerven, sondern auch Klugheit und Kreativität bewiesen. Ihre Überlegungen, (Oh ja! Ich bin davon überzeugt, das sie zu Überlegungen fähig ist), müssen so ausgesehen haben: „“Es gibt sicher einen besseren Weg, und den finde ich. Auch wenn er vielleicht etwas länger sein wird. Die Zweibeiner nerven zu sehr. Ja, Ja doch Frauchen. Ich bin nicht taub. Ich will ja selbst auch zur Metro, weg von diesem Stress!“

Neuer Versuch

Heute scheint Vroni keine große Lust auf die Stadt zu haben. Im Schneckentempo zuckelt sie neben mir her. Ich versuche sie anzuspornen locke, ermuntere sie, etwas Tempo zuzulegen. Sie beschleunigt zwar etwas, fällt aber gleich wieder in den alten Trott zurück. Wenn wir so weitermachen, schaffen wir unsere Verabredung heute nicht. An der Kreuzung verlange ich „Lampada!“. Vroni tut so, als spräche ich chinesisch. Sie tappt zuerst nach links, an den Rasenstreifen, dann nach rechts, an die Bordsteinkante. Wenn ich aber nach dem Ampelmast fassen will, ist da keiner. Ich wiederhole meinen Wunsch, sie dreht sich um und möchte wieder zurück, nachhause oder vielleicht zum Bach zum spielen. Diesem Wunsch kann ich heute leider nicht nachgeben. Ich habe einen Termin, den ich einhalten muss. Also noch einmal: „Lampada!“ Wir müssen unbedingt auf die andere Straßenseite zur Busstation. Vroni denkt aber gar nicht daran, mich zur Ampel zu bringen. Ich muss sehr energisch werden, dann endlich zeigt sie mir sichtlich verärgert, das Gewünschte.

Das kann ich ihr nicht durchgehen lassen. Sonst hängt es künftig von Vronis Laune ab, ob und wenn ja, wann ich wohin komme oder auch nicht. Heute aber muss ich es wohl hinnehmen, denn wir sind schon spät dran. Es hat auch gar keinen Sinn, solch eine Aktion durchzuziehen, solange ich sauer und genervt bin. Dazu gehört Zeit, Ruhe und ein langer Atem. Diese Unart hat sich langsam, fast unmerklich eingeschlichen. Gelegentlich hatte sie mal dort und da, die eine oder Andere Ampel „nicht gefunden.“ Ich hatte es nicht so wichtig genommen. Jetzt bekam ich die Rechnung für meine Inkonsequenz

Am nächsten Morgen nehme ich mir diese Zeit. Ein Traumwetter, so richtig zu spazieren gehen, ballspielend oder Baden im Bach geeignet. Das ist, wie mir scheint, auch Vronis Ansicht. Ich aber habe etwas anderes vor. Wie am Vortag, gehen wir zur Busstation. Natürlich muss sie wieder die Ampel anzeigen. Das gleiche Spielchen, wie am Vortag. „Lampada!“ Was ist das? Völlig gelassen und ohne ärgerlich zu werden, (ich habe mich ja innerlich darauf vorbereitet), verlange ich immer wieder das Gleiche. Bis sie mich an den Mast führt, wo ich die Taste drücken kann. Wie überqueren die Straße, Vroni will zum Bus, ich aber verlange die nächste Ampel. Sie ist erst einmal überrascht, dann ungehalten, „Das kann doch nicht sein. Das war doch noch nie so.“ Ich bestehe auf meinen Wunsch: „Lampada, destra!“ Nach einiger Zeit gibt sie nach, bringt mich hin und wir überqueren die nächste Straße. „Jetzt aber zum Bus, da ist auch eine Haltestelle !“, Sie strebt in diese Richtung. „Nein, Lampada, destra!“, korrigiere ich wieder. Zögerlich dreht sie sich in die angegebene Richtung, versucht dann aber doch noch einmal zum Bus zu gehen. Als ich sie wieder korrigiere, gibt sie nach.

Auf der anderen Straßenseite hält sie brav an, wie es sich gehört. Hier nehmen wir den Bus. Sie ist wohl erleichtert. Wir fahren aber nur bis zu einer Station, mit einer passenden Straßenkreuzung. Dort mache ich mit ihr dieselbe Übung. Sie versucht zwar zuerst wieder zu verweigern, merkt aber, so komme ich nicht vorwärts, und zeigt mir die Ampel. Dann nehmen wir den Nächsten Bus und wiederholen die Prozedur an geeigneten Stellen noch zweimal. Zuletzt führt sie so zügig zum Ampelmast, wie ich es von früher her kenne. „Ja ja, ich weiß, ich zeig ihn Dir ja, sonst geht das ewig so weiter!“, lese ich aus ihrer Reaktion heraus. Zur Belohnung geht’s danach sofort in den Bach zum Spielen.

zur Zeit verlieren wir viele Bälle. Sei es dass sie davonschwimmen, im Gebüsch einfach nicht mehr gefunden – oder von anderen Hunden geklaut und kaputtgebissen werden. Unser Vorrat an Tennisbällen schrumpft jedenfalls. Weißt Du eine Quelle, wo wir diese Dinger einigermaßen preiswert bekommen könnten? Vroni zieht Tennisbälle jedem anderen Spielzeug vor. Andere Bälle lässt sie meist liegen, vor allem dann, wenn ein Tennisball auftaucht. Und wie Du weißt, sind die richtigen „Hundebälle“ sowieso sehr teuer.

Heute beim Spazieren gehen habe ich einen neuen weg ausprobiert. Prompt stellte er sich als extrem schwierig und unsicher heraus. Als er sehr abschüssig und schmal wurde, ging Vroni immer näher an meiner Seite, bis sie quer vor mir stehen blieb, als wollte sie sagen: „Hier kannst Du nicht alleine weiter gehen!“ Ich tastete mit dem Stock um mich herum und entdeckte vor mir Wasser. Na ja und Baden wollte ich heute gerade nicht. Auch wenn die Sonne scheint. Also zog ich ihr das Geschirr an. Ganz vorsichtig und langsam führte sie mich auf einem schmalen Pfad am Wasser entlang und dann auf einen breiteren gut gangbaren Weg. Dort erst verlangte sie, wieder ihren Freilauf. Ist sie nicht ein klasse Partner? Jetzt bin ich müde und muss mich mal hinlegen. Die Nächte sind ja derzeit auch nicht das, was man sich wünscht.

© Renate Gölz

Führhund-Geschichten Fortsetzung: Othello

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