Spezialbrillen für Netzhauterkrankungen
Was hat es mit diesen ominösen Kantenfiltergläsern auf sich? Was tun bei extremer Lichtempfindlichkeit? Vielleicht findet ihr hier eine Antwort.
Inhalt
Netzhauterkrankungen
Informationen zu Kantenfiltern
Extreme Blendempfindlichkeit
Warum ist es so schwierig, die richtigen Gläser zu finden?
Kantenfilter – auch für gesunde Augen?
Die Netzhaut (Retina), ist derjenige Teil des Auges, der die Photorezeptoren enthält, also für die Verarbeitung der einfallenden Lichtreize verantwortlich ist. Die Ursachen von Netzhauterkrankungen sind häufig in genetischen Veränderungen zu finden und/oder sind altersabhängig. Die Auswirkungen sind je nach Krankheitsart sehr unterschiedlich. Spezialbrillen können helfen.
Viele Netzhauterkrankungen sind verbunden mit
- einer erhöhten Blendempfindlichkeit
- einer eingeschränkten Adaption (Anpassung an die jeweilige Helligkeit)
- einer Dysfunktion bei der Verarbeitung bestimmter Lichtwellenbereiche
- einer Minderung des Kontrastsehens
Bei bestimmten Netzhauterkrankungen können spezielle Filtergläser, sogenannte Kantenfiltergläser weiterhelfen. Als Kantenfilter werden Gläser bezeichnet, die Licht unterhalb einer exakt definierten Wellenlänge (=Kante) blockieren, während Licht mit größerer Wellenlänge ungehindert durchgelassen wird. Damit ist jede gute Sonnenbrille, die einen UV-Schutz bietet, eine Kantenfilterbrille. Die Schwelle bis zu der das Licht blockiert wird, liegt jedoch außerhalb des sichtbaren Bereichs – bei ca 400 nm. Wenn in unseren Kreisen von Kantenfiltern gesprochen wird, sind immer Blaublocker gemeint! Für Blaublocker liegt die Schwelle zwischen 500 und 550 nm . Die großen Hersteller bieten in der Regel drei Varianten an mit geringfügig unterschiedlichen Wellenlängen des Kantenverlaufs. Je nach Hersteller und Kantenverlauf haben die Gläser eine gelbe, rötliche oder braune Tönung. Mit einem solchen Kantenfilter wird das kurzwellige, blaue Licht herausgefiltert. Daneben gibt es noch sogenannte Blaudämpfer, bei denen die Kante weniger steil ist und ein Teil des blauen Lichts durchgelassen wird. Blaues Licht ist besonders energiereich und wird besonders stark gestreut. Deshalb bewirkt das teilweise oder vollständige Herausfiltern des Blauanteils eine Verbesserung der Sehqualität durch Kontraststeigerung, Schärfung der Konturen und Reduzierung von Blendeffekten. Zusätzlich können die Gläser mit einer Brauntönung versehen werden. Ist die Helldunkel-Adaption eingeschränkt, braucht man für die unterschiedlichen Helligkeitsstufen jeweils eine eigene Brille und/oder zusätzliche Vorhänger.
Achtung: Kantenfilterbrillen (Blaublocker) sind ein medizinisches Therapeutikum. Sie sollten nicht zum Jux getragen werden. Sie haben einen entscheidenden Nachteil: sie verändern das Farbspektrum. Deshalb dürfen sie im Straßenverkehr nicht verwendet werden. Die schwächeren Blaudämpfer sind dagegen im Straßenverkehr zugelassen.
Informationen zu Kantenfiltern
Die umfassendste Informationsbroschüre zu Kantenfiltern ist in einer Zusammenarbeit der Wissenschaftlichen Vereinigung für Augenoptik und Optometrie e.V. (WVAO) und der Selbsthilfevereinigung PRO RETINA Deutschland e.V. entstanden. Die 3. Auflage ist im Juli 2012 erschienen und trägt den Titel „Kantenfilter und seitlicher Blendschutz“. Autoren sind Klaus Plum (WVAO) und Dr. Konrad Gerull (PRO RETINA). Zu beziehen ist die Broschüre bei der Wissenschaftlichen Vereinigung für Augenoptik und Optometrie www.wvao.org/
und bei der Pro Retina Selbsthilfevereinigung
www.pro-retina.de/
Eine kurze, aber informative Darstellung findet man bei Schweizer Optik mit dem Titel „Kantenfilter – Wie wirken, was bewirken sie “.
Die Firma Zeiss Informiert unter dem Titel Spezialfiltergläser über die Produktreihe ihrer Kantenfiltergläser.
Was bedeutet Blendung? Blendung kann entstehen bei zu hoher Lichtintensität (stark abhängig von der Art der Netzhauterkrankung), bei schnell wechselnden Lichtverhältnissen und beim Übergang vom Dunkeln ins Helle. Die Auswirkungen sind ganz unterschiedlich. Die Einen klagen über regelrechte Schmerzen, die Anderen verspüren zwar keine Schmerzen, sehen aber nichts mehr vor lauter Helligkeit.
Ich selbst gehöre zu den Glücklichen, bei denen die Kantenfilter (Blaublocker) Wunder bewirken. Sie haben mir meine Mobilität wiedergegeben – draußen bei Tag und vor allem bei Sonne. Ohne diese Filter wäre ich „tagblind“. Wegen meiner fehlenden Hellihkeitsadaption brauche ich ein ganzes Arsenal von Brillen mit unterschiedlichen „Verdunkelungsstufen“. Das ist zwar unpraktisch, aber das kleinere Übel – man gewöhnt sich daran.
Zeiss Kantenfilter gibt es bist zu einer Tönung von 90 %. Schweitzer Optik geht noch ein paar Prozentpunkte höher, der Unterschied ist aber kaum spürbar. Bei heller Sonne reichten mir diese Gläser nicht, ich musste einen zusätzliche Vorhänger verwenden. Nicht ganz ideal, weil damit zusätzliche Reflektionen entstanden. Mein Low Vision Optiker in München machte den Vorschlag, Kantenfilter einer kleinen Spezialfirma zu testen, die das maximal technisch mögliche an Verdunkelung realisieren würde. Nach einem erfolgreichen Test (noch ohne optische Korrektur) wurden die fertigen Gläser in meine bewährte Gletscherbrille Alpina Himalaya eingesetzt. Inzwischen haben sie auch den Härtetest – Schnee mit Sonne – bestanden.
Es gibt aber eine noch deutlich höhere Stufe von Lichtempfindlichkeit, die jede Vorstellung sprengt. Zufällig kenne ich drei Mitglieder von Pro Retina, die zu diesen besonders Lichtscheuen gehören. Aus Datenschutzgründen will ich sie Anton, Gabriel und Maria nennen.
Anton trägt beispielsweise in einer schwach beleuchteten Gaststube die dunklen Kantenfilter – Zeiss Clarlet F90. Wenn er drinnen schon so dunkle Gläser braucht, was macht er dann draußen – gar bei Sonne? Anton weiß sich zu helfen. Auf Grund seiner früheren beruflichen Tätigkeit kennt er sich aus mit Arbeitsschutzkleidung und Arbeitsschutzbrillen. Draußen verwendet er eine Schweißerbrille – der Klasse 8 oder 10 je nach Helligkeit. Was sind das für Gläser? Schweißer sind gefährlich hellen Lichtblitzen ausgesetzt. Als Schutz gibt es getönte Spezialgläser mit unterschiedlich starker, dunkler Tönung. Die Tönung ist eingeteilt in Klassen von 2 bis 16. Zum Autogenschweißen sind die Schutzklassen 2 bis 8 ausreichend, für offenes Lichtbogenschweißen sind dagegen die Klassen 9 bis 16 vorgesehen. Gefühlt ist die Klasse 5 schon dunkler als die dunkelste Sonnenbrille. Klasse 11 wirkt schon fast wie eine totale Verdunkelung – es kommt kaum noch Licht durch. Aber Anton sagt, er kann damit was sehen – auch bei Sonne.
Sucht man im Internet nach Schweißerbrillen, findet man fast nur solche der Klasse 5 – teils im Look typischer Arbeitsschutzgeräte, teils in modischen Fassungen ähnlich wie Sportbrillen. Nur in Spezialgeschäften erhält man Gläser höherer Klassen. Beispielhaft sei diese Adresse genannt:
schweisshelden.de
Anton verwendet das Brillengestell, das auf dieser Seite als erstes abgebildet ist (2,50 Euro). Die Gläser gibt’s im Zehnerpack für 3,50 Euro. Sie sind aus eingefärbtem Glas, kreisrund und völlig plan. Die Fassung hat eine große Rändelschraube zum Öffnen, so dass man die Gläser leicht austauschen kann. Ihr seht, ein Preisproblem ist diese Lösung nicht, aber sehr wohl ein kosmetisches. Um sich mit so einer Brille auf die Straße zu trauen, braucht es schon den entsprechenden Leidensdruck und eine gewisse Wurstigkeit gegenüber Äußerlichkeiten ist auch von Nöten. Aber was tun, wenn sonst nichts hilft?
Gabriel verwendet auch Schweißer Gläser, aber er hat eine wesentlich elegantere Lösung gefunden. Bei ihm übernehmen die Schweißergläser eine Zusatzfunktion. Das Grundmodell ist eine Sportbrille – Baunty 11533 – mit gutem Seitenschutz und getönten, phototrophen, außen verspiegelten Gläsern. Je nach Sonneneinstrahlung absorbieren diese Gläser 50 bis 90 % des einfallenden Lichts. Um die Helligkeit noch weiter zu reduzieren, wurden an der Innenseite der Fassung zusätzlich Schweißergläser der Klasse 5 montiert. Diese Gläser stammten aus einer handelsüblichen Schweißerbrille in modischem Design ähnlich dieser bei Amazon. Die Gläser wurden entsprechend zugeschnitten und mit winzigen Schräubchen innen am Rahmen befestigt. Optisch gut gelungen und sehr funktionell! Die besondere Schwierigkeit hierbei war, Zusatzgläser zu finden, die annähernd dieselbe Wölbung wie das Grundmodell hatten und sich am Rahmen befestigen ließen.
Maria wagte sich nicht mehr nach draußen; sie flüchtete in den Keller. Selbst bei Nacht bleibt sie nicht „unbehelligt“. Sie erzählt:
„Blendempfindlichkeit bei Sonne, das kennt bestimmt jeder – am besten noch im Herbst oder im Frühling, wenn die Sonne in den Abendstunden sehr tief steht. Das kannte ich auch mal! Aber, dass ich unterdessen meine eigenen Wohnräume nicht mehr betreten kann bei Sonne – oder ich bei heruntergezogenen Rollladen mit Sonnenbrille und Kappe am Herd stehe und bin am Kochen, das hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können. Was unterdessen alles blenden kann, hätte ich niemals für möglich gehalten. Eine nasse Straße – eine Häuserfront – Straßenschilder – sogar Baumreihen – die von der Sonne angestrahlt werden tun mir schon weh in den Augen. Und das Ganze, trotz meiner Kantenfilterbrillen – mit Polarisationsfilter, die ich immer trage! Wenn ich im Dunkeln das Haus verlasse ist es am schlimmsten. Dann trage ich eine 90% getönte Kantenfilterbrille. Und wenn plötzlich nur Rücklichter von einem Auto auftauchen, eine rote Ampel, geschweige Frontscheinwerfer und eine grüne Ampel, könnte ich flüchten. Mit der dunklen Kantenfilterbrille ist es zumindest einigermaßen erträglich – tut aber immer noch weh in den Augen.“
Maria hat die Schweißerbrille auch aufgesetzt. Die Gläser der Klassen 9 und 11 zeigten auch bei ihr durchaus ihre Wirkung. Aber glücklich war sie nicht. Durch die seitlichen Belüftungsschlitze kam zu viel Licht rein und das verursachte irritierende Reflektionen und Blendungen. Und natürlich, die Fassung war unmöglich! Mit ein wenig Bastelei ließe sich der seitliche Lichteinfall sicher beheben. Aber damit unter Menschen gehen – nein! Doch Aufgeben gilt nicht! Ein findiger Optiker wusste Rat. Sicher kein Zufall, dass es derselbe ist, der uns schon als Koautor der Kantenfilterbroschüre begegnet ist. Er probierte andere, seltener verwendete Filter. Der große Durchbruch gelang mit der Kombination zweier ganz unterschiedlicher Filter. Er kombinierte einen dunklen Blaublocker mit einem Filter, der speziell für die seltene Blauzapfenmonochromasie (BZMC) entwickelt wurde.
Die beiden Filter ergänzen sich. Der Blaublocker blockt das blaue Licht, der BZMC-Filter blockt grün und gelb. Allerdings bleibt da nicht mehr viel übrig vom Farbspektrum – nur noch orange und rot. Der Normalsehende reagiert hier ähnlich wie bei Antons Lösung: „da kann man doch gar nicht mehr durchsehen“. Aber Maria sieht damit – und das war das Ziel. Die beiden Gläser finden Platz in der attraktiven Adidas Sportbrille „Terrex“ – außen der dunkle Blaublocker, im Innenclip der BZMC-Filter. Perfekt! Und Maria ist wieder glücklich. „Ich bin sowas von glücklich mit meinem Wunderwerk!!! Konnte mir nicht vorstellen mal eine Brille „lieben“ zu können.“
Warum ist es so schwierig, die richtigen Gläser zu finden?
Als Laie stellt man es sich wohl so vor: Man bekommt eine Diagnose und damit gleich die Verordnung für die passenden Spezialgläser. In der Praxis ist es schwieriger. Die erste Schwierigkeit ist die richtige Diagnose – trotz aller Fortschritte auf diesem Gebiet. Es gibt Mischformen, Unterformen und individuelle Verläufe. Bei bestimmten Erkrankungen helfen Kantenfilter, und bei anderen eher nicht. Danach richtet sich auch, ob die Kassen mitmachen oder nicht.
Hier ein Auszug aus der offiziellen Hilfsmittel-Richtlinie des Bundesministerium für Gesundheit in der Neufassung von 2012:
Therapeutische Sehhilfen zur Behandlung einer Augenverletzung oder Augenerkrankung sind in folgenden Fällen bei bestehender medizinischer Notwendigkeit verordnungsfähig:
4. Brillenglas mit Kantenfilter (> 500 nm) als Langpassfilter zur Vermeidung der Stäbchenbleichung und zur Kontrastanhebung bei
a) angeborenem Fehlen oder angeborenem Mangel an Zapfen in der Netzhaut (Achromatopsie, inkomplette Achromatopsie),
b) dystrophischen Netzhauterkrankungen, z. B. Zapfendystrophien, Zapfen-Stäbchen-Dystrophien, Stäbchen-Zapfendystrophien, Retinopathia pigmentosa, Chorioideremie,
c) Albinismus.
Ausmaß der Transmissionsminderung und Lage der Kante der Filter sind individuell zu erproben, die subjektive Akzeptanz ist zu überprüfen.
Besteht beim Kantenfilterglas zusätzlich die Notwendigkeit eines Refraktionsausgleichs, sind entsprechende Brillengläser gemäß § 14 mit verordnungsfähig.
5. Kantenfilter sind nicht verordnungsfähig bei
– altersbedingter Makuladegeneration,
– diabetischer Retinopathie,
– Opticusatrophie (außer im Zusammenhang mit einer dystrophischen Netzhauterkrankung),
– Fundus myopicus.
Sogar in dieser Richtlinie ist von der Notwendigkeit einer individuellen Erprobung die Rede. Es ist weder sicher, dass Kantenfilter bei den verordnungsfähigen Erkrankungen immer und bei Jedem helfen, noch ist ausgeschlossen, dass sie bei nicht verordnunhgsfähigen Erkrankungen nicht doch zum Wohlbefinden und zu einer Sehverbesserung beitragen können. Bei eyeglass24.de wird beispielsweise erklärt, dass Kantenfiltergläser in Gestalt von Blaublockern eben auch bei bei Makuladegeneration, Katarakten und diabetischen Retinopathien sehr oft als subjektiv angenehm und den Seheindruck verbessernd wahrgenommen werden. Auf der Webseite von Zeiss heißt es wörtlich:
Spezialfiltergläser ausprobieren
Bei der Verordnung von Spezialfiltergläsern gibt es keine einheitlichen objektiven Kriterien. Die Auswahl des geeigneten Spezialfilterglases findet vielmehr, insbesondere bei degenerativen Augenerkrankungen wie Retinitis pigmentosa oder diabetischer Retinopathie durch Ausprobieren statt. Die Patienten treffen die Auswahl des optimalen Filterglases, indem sie den Sehkomfort durch verschiedene Filtergläser vergleichen und beurteilen. Die Patienten entscheiden, welches Filterglas für ihre Bedürfnisse am besten geeignet ist, indem sie den Sehkomfort durch verschiedene Filtergläser vergleichen und beurteilen. Hierzu sind binokulare Vorhalter zum Vorhalten vor das Augenpaar oder Filter-Clips zum Anbringen an der Brille verfügbar.
Das ist eindeutig, man kann also nur durch Probieren herausfinden, welche Gläser die individuell richtigen sind. Mitglieder von PRO RETINA haben es gut. Sie können sich einen Musterkoffer mit den unterschiedlichsten Filtergläsern ausleihen und in aller Ruhe und unter Originalbedingungen testen, welche Gläser am geeignetsten sind. Und notfalls muss man auch nach unkonventionellen Lösungen suchen – siehe Anton, Gabriel und Maria.
Wichtig: Bei dunklen Kantenfiltergläsern muss die Brillenfassung möglichst geschlossen sein, eng anliegen und einen seitlichen Schutz besitzen. In der eingangs erwähnten Kantenfilterbroschüre sind geeignete Fassungen beschrieben.
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Kantenfilter – auch für gesunde Augen?
Stellen die modernen Leuchtmittel – die LED`s – mit ihrem hohen Blauanteil und fehlendem Rotanteil eine Gefahr für die Augengesundheit dar? Die modernen Flachbildschirme ebenso? Diese Auffassung wird auf der Webseite von Innovative Eyewear vertreten und ausführlich begründet. Zum Schutz bietet die Firma Gläser mit einem sogenannten „bluelightprotect Filter“ an. Was ist das? Ein Blaublocker? Ein Blaudämpfer? Ich wollte es wissen und habe bei der Firma nachgefragt. Die Antwort war ganz eindeutig: es sind Blaublocker! Empfohlen werden sie besonders für das Arbeiten am PC-Monitor.
Was ist dran – an diesen Aussagen? Siehe dazumeinen Artikel „Ist LED-Licht gefährlich?“
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